Tierwohl

Bundesverfassungsgericht: Kein Sex mit Tieren. Der Schutz von Tieren vor artwidrigen sexuellen Übergriffen sei ein legitimes gesetzgeberisches Ziel. In der Sache richtig. Im Hinblick auf die Kommerzialisierung von Tieren, etwa in der Massentierhaltung, ausbaufähig:

Im Jahr 2011 wurden in Deutschland jede Sekunde (!) 24 Tiere geschlachtet. Das sind 1.461 getötete Tiere in der Minute. 87.674 in der Stunde. 2.104.164 jeden Tag. Insgesamt 768.019.860 Kreaturen. Davon 3.678.831 Rinder, 59.291.063 Schweine und 705.049.980 Tiere mit Flügeln. Die Tiere sind bei ihrer “Schlachtung” zu einem Teil bei Bewußtsein. Die Fehlbetäubungsrate bei Rindern liegt zwischen 4 – 9%. Das liegt an der unzureichenden Wirkung des Bolzenschusses in den Kopf. Bei Schweinen liegt sie bei händischer Betäubung zwischen 10,9 – 12,5%, bei automatischer Betäubung bei 3,3%. Das führt etwa dazu, daß sie bei vollem Bewußtsein gebrüht werden. Geflügel wird in großer Zahl in elektrische Wasserbäder getaucht. “Der Strom fließt parallel geschaltet gleichzeitig durch die Tiere, wodurch es aufgrund der unterschiedlichen Widerstände der Tiere zu unterschiedlichen Stromfluß kommt und Anzeichen für eine mangelhafte Betäubung auftreten können”. Unterstellt man eine Fehlerrate von durchschnittlich 7%, werden in Deutschland Jahr für Jahr 53.761.391 Tiere unter nicht vorstellbaren Schmerzen umgebracht. Neueste Zahlen aus dem Bereich der “Fleischproduktion” hier. Zur Vergasung von Küken weitere Informationen hier.

BVerfG,  Beschluss vom 08.12.2015  – 1 BvR 1864/14 –
Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 20a, 103 Abs. 2 GG
§§ 3 S.1 Nr. 13, 18 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 TierSchG

Leitsatz (tm.)

Das im Tierschutzgesetz geregelte Verbot, ein Tier für eigene sexuelle Handlungen zu nutzen, ist verhältnismässig und verletzt nicht das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.
[1] Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den am 13. Juli 2013 in Kraft getretenen § 3 Satz 1 Nr. 13 TierSchG (BGBl I S. 2182), wonach es verboten ist, ein Tier für eigene sexuelle Handlungen zu nutzen oder für sexuelle Handlungen Dritter abzurichten oder zur Verfügung zu stellen und dadurch zu artwidrigem Verhalten zu zwingen. Verstösse können nach § 18 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 TierSchG als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbusse bis zu fünfundzwanzigtausend Euro geahndet werden. Die Beschwerdeführer, die sich zu Tieren sexuell hingezogen fühlen, rügen unter anderem eine Verletzung des Bestimmtheitsgebotes (Art. 103 Abs. 2 GG) und ihrer sexuellen Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG).

II.
[2] Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Vorschriften verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten.

[3] 1. § 3 Satz 1 Nr. 13 TierSchG und §§ 18 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 TierSchG verstossen nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG.

[4] a) Nach Art. 103 Abs. 2 GG darf eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde („nulla poena sine lege“). Der Schutz der Vorschrift erstreckt sich auch auf die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten (vgl. BVerfGE 81, 132 <135>; 87, 399 <411>; stRspr). Sie soll – neben dem hier unerheblichen Rückwirkungsverbot – einerseits sicherstellen, dass der Normadressat vorhersehen kann, welches Verhalten mit Strafe oder Busse bedroht ist, und andererseits gewährleisten, dass der Gesetzgeber und nicht erst die Gerichte über die Strafbarkeit oder Bussgeldvoraussetzungen entscheiden. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung oder einer Verhängung von Geldbussen festzulegen (vgl. BVerfGE 78, 374 <382>; 126, 170 <194>; BVerfGK 11, 337 <349>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. September 2011 – 1 BvR 519/10 -, NVwZ 2012, S. 504 <505>).

[5] b) Gemessen an diesen Massstäben werden die angegriffenen Normen den sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen gerecht.

[6] Der Tatbestand des § 3 Satz 1 Nr. 13 TierSchG wird in doppelter Hinsicht durch die Merkmale der „sexuellen Handlung“ und des „Zwingens“ zu einem „artwidrigen Verhalten“ begrenzt. Diese unbestimmten Gesetzesbegriffe sind weder im angegriffenen Tierschutzgesetz noch in der Gesetzesbegründung definiert. Sie sind aber der näheren Deutung im Wege der Auslegung zugänglich (BVerfGE 78, 374 <389>; 75, 329 <341>); ihre Bedeutung ergibt sich aus ihrem Wortsinn (BVerfGE 71, 108 <115>; 82, 236 <269>) und entspricht dem Alltagssprachgebrauch. Zudem handelt es sich um Begrifflichkeiten, die auch in anderen Gesetzen und im Tierschutzgesetz selbst verwendet werden. Es ist davon auszugehen, dass weitgehende Einigkeit über ihren engeren Bedeutungsgehalt besteht (BVerfGE 126, 170 <197>) und sie insofern durch die Gerichte weiter konkretisiert werden können.

[7] aa) Dies gilt insbesondere für den Begriff der sexuellen Handlung, der in § 184h StGB definiert wird und von der Rechtsprechung näher konkretisiert wurde (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 1996 – 5 StR 153/96 -, StV 1997, S. 524 <524>; Urteil vom 6. Februar 2002 – 1 StR 506/01 -, NStZ 2002, S. 431 <432>). Dass der Gesetzgeber bei Einführung des § 3 Satz 1 Nr. 13 TierSchG ein anderes Begriffsverständnis zugrunde legen wollte, ist den Gesetzgebungsmaterialien (BRDrucks 300/1/12, S. 48; BTDrucks 17/10572, S. 61) nicht zu entnehmen.

[8] bb) Auch der Begriff des „Artgerechten“ beziehungsweise „Artwidrigen“ ist dem Recht nicht fremd. Es handelt sich um einen im Tierschutzrecht gebräuchlichen Begriff, der sich auf die Haltung und Unterbringung von Tieren bezieht (vgl. § 2 TierSchG, § 8 TierSchHuV).

[9] Der Begriff des „artwidrigen“ Verhaltens steht zudem in engem Zusammenhang mit dem weiteren Tatbestandsmerkmal des „Zwingens“ zu einem solchen Verhalten, der eine tatbestandsbegrenzende Wirkung entfaltet. Nach der Gesetzesbegründung soll das „Erzwingen“ zwar sowohl durch körperliche Gewalt als auch auf andere Weise möglich sein (vgl. BTDrucks 17/11811, S. 28). Eine Auslegung anhand der Systematik des § 3 TierSchG und im Hinblick auf Sinn und Zweck des Verbots ergibt, dass es sich bei dieser anderen Weise des Zwangs um ein Verhalten handeln muss, welches mit der Anwendung von körperlicher Gewalt vergleichbar ist.

[10] Zum einen wird der Begriff auch in § 3 Satz 1 Nr. 11 TierSchG verwandt und bezieht sich dort auf ein Zwingen des Tieres zur Bewegung mittels direkter Stromeinwirkung, wodurch dem Tier nicht unerhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Zum anderen ist der vom Gesetzgeber in § 3 Satz 1 Nr. 13 TierSchG benutzte Begriff des „Zwingens“ von der in § 3 Satz 1 Nrn. 1 und 1a TierSchG gewählten Formulierung abzugrenzen, nach der es verboten ist, einem Tier Leistungen „abzuverlangen“, denen es wegen seines körperlichen Zustandes nicht gewachsen ist. Es genügt hier jedenfalls, wenn die verwendeten Begriffe auslegungsfähig sind und durch die Rechtsanwendung konkretisiert werden können.

[11] 2. Die angegriffenen Vorschriften verletzen nicht das Grundrecht der Beschwerdeführer auf sexuelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG). Der Einzelne muss, soweit nicht in den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung eingegriffen wird, staatliche Massnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit oder im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Interessen Dritter unter strikter Wahrung des Verhältnismässigkeitsgebots ergriffen werden (BVerfGE 120, 224 <239>). So liegt es hier.

[12] Der Schutz des Wohlbefindens von Tieren durch einen Schutz vor artwidrigen sexuellen Übergriffen ist ein legitimes Ziel. Diesem in § 1 Satz 1 TierSchG zum Ausdruck kommenden Grundprinzip kommt nach Art. 20a GG Verfassungsrang zu. Es liegt im – grundsätzlich weiten – Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 102, 197 <218>; 104, 337 <347 f.>), zum Wohlbefinden der Tiere und ihrer artgerechten Haltung auch den Schutz vor erzwungenen sexuellen Übergriffen zu rechnen.

[13] Die vom Gesetzgeber getroffene Regelung ist auch im Übrigen verhältnismässig. Insbesondere steht die Schwere des Eingriffs nicht ausser Verhältnis zum erstrebten Erfolg. Zwar greift § 3 Satz 1 Nr. 13 TierSchG in die sexuelle Selbstbestimmung der Beschwerdeführer ein. Jedoch greift der Tatbestand des § 3 Satz 1 Nr. 13 TierSchG nur, wenn das Tier zu einem artwidrigen Verhalten gezwungen wird. Zudem bedient sich der Gesetzgeber hier nicht des Strafrechts, sondern gestaltet die Norm als blosse Ordnungswidrigkeit aus, deren Verfolgung und Ahndung dem Opportunitätsprinzip (§ 47 Abs. 1 Satz 1 OWiG) folgt und damit im pflichtgemässen Ermessen der Verfolgungsbehörde liegt. Dabei kann bei Vorliegen besonderer, nicht notwendig aussergewöhnlicher Umstände der Unrechtsgehalt des Verstosses und das sich daraus ergebende Gefährdungspotenzial so gering sein, dass eine Verfolgung und Ahndung nicht geboten erscheint (vgl. Seitz, in: Göhler, OWiG, 16. Aufl. 2012, § 47 Rn. 2). Damit durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass das mit den Vorschriften angestrebte Ziel die konkreten Beeinträchtigungen für die Betroffenen überwiegt.

[14] Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

[15] Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Kirchhof Masing Baer

Quelle: https://www.bundesverfassungsgericht.de/ (Bundesverfassungsgericht, 76131 Karlsruhe)
Leitsätze, Format und Rechtschreibung: http://www.debier.de (debier-datenbank, RA Torsten Mahncke, Berlin)