Theater

Negativ dargestellte Theaterfiguren verletzen nicht die Ehre des Vorbilds. In dem konkreten Fall hatte der BGH die theatralische Auseinandersetzung mit der realen Ermordung eines jungen Mädchens zu beurteilen. Er stärkte die Kunstfreiheit. Der Inhaber der urheberrechtlichen Aufführungsrechte am Theaterstück könne gerichtlich feststellen lassen, dass der Betroffene nicht das Recht habe, die Aufführung zu untersagen. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffenen nicht den Rechteinhaber, sondern die Theater angreift, denen dieser die Aufführung gestattet hat. (tm.)

BGH, Versäumnisurteil vom 16.09.2008 – VI ZR 244/07 – “Ehrensache” (OLG Köln)
Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 1, 12 GG
§§ 823 Abs. 1, 1004 BGB
§ 256 ZPO

Leitsätze (amtl / tm.)

1. Zur Zulässigkeit der Klage eines Theaterverlags auf Feststellung, dass der Inszenierung, Aufführung und Veröffentlichung eines Theaterstücks Persönlichkeitsrechte nicht entgegen stehen. (amtl)
2. Gegenstand der Feststellungsklage ist die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses einer Person zu einer anderen oder zu einer Sache. Ob der Antrag ein solches Rechtsverhältnis betrifft, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dafür ist auch die Klagebegründung heranzuziehen. (tm.)
3. Der Inhaber urheberrechtlicher Verwertungsrechte an einem Theaterstück kann gerichtlich feststellen lassen, dass es veröffentlicht und aufgeführt werden darf, wenn Unsicherheit bezüglich der Rechtsfrage besteht, ob dies wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten verboten werden könnte. Eine Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen durch den potentiellen Gläubiger ist dafür nicht erforderlich. Das Feststellungsinteresse kann bereits dann gegeben sein, wenn der Rechteinhaber befürchten muss, dass ihm der Gläubiger aufgrund seines vermeintlichen Rechts ernstliche Hindernisse entgegensetzen werde. (tm.)
4. Das postmortale Persönlichkeitsrecht folgt aus Art. 1 Abs. 1 GG, und schützt zum einen den allgemeinen Achtungsanspruch, der dem Menschen als solchem zusteht, und den sittlichen, personalen und sozialen Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat. Steht fest, dass eine Handlung das postmortale Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt, ist zugleich ihre Rechtswidrigkeit geklärt. Der Schutz kann nicht etwa im Zuge einer Güterabwägung relativiert werden. (tm.)
5. Zur Frage der Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts bei kunstspezifischer Betrachtung eines Theaterstücks mit Wirklichkeitsbezug unter Vermengung tatsächlicher und fiktiver Schilderungen (“Ehrensache”). (amtl)
6. Für ein ein Theaterstück gilt die Vermutung der Fiktion, selbst wenn dahinter reale Personen oder Geschehnisse erkennbar sind. Kennzeichnend für sie ist die Vermengung von Fiktion und Wirklichkeit. Allein die Erkennbarkeit einer realen Person als Vorbild eines solchen Werkes und ihre negative Darstellung begründet keine Persönlichkeitsrechtsverletzung. (tm.)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 18. September 2007 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 14. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

[1] Die Beklagte ist die Mutter der am 31. Mai 2004 verstorbenen F.. Die damals 14 Jahre alte Tochter wurde auf einem Parkplatz von einem türkischen Heranwachsenden nach einem gemeinsam mit der 13jährigen Freundin von F. und einem Freund des Täters unternommenen Ausflug mit zahlreichen Messerstichen getötet. Die Freundin wurde von dem Freund des Täters ebenfalls mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt. Das Tatgeschehen erregte wegen seiner Brutalität grosses Aufsehen und war als sogenannter “Hagener Mädchenmord-Fall” Gegenstand bundesweiter Medienberichte. Die beiden Täter sind rechtskräftig zu langjährigen Jugendstrafen verurteilt worden.
[2] Die Klägerin ist der Theaterverlag des Dramatikers Lutz Hübner, der im Jahr 2005 im Auftrag der Theater & Philharmonie Essen GmbH das Jugendtheaterstück “Ehrensache” schrieb. Die Verwertung sämtlicher Urheberrechte einschliesslich aller Nebenrechte an dem Stück übertrug er der Klägerin, die ihrerseits Aufführungsrechte an verschiedene Theater vergab. Am 9. Dezember 2005 wurde das Stück uraufgeführt.
[3] Die Beklagte hat sich in zahlreichen gerichtlichen Verfahren gegen Aufführungen des Stücks gewandt. Sie sieht in dem Bühnenstück “Ehrensache” eine teilweise detailgetreue Darstellung des Geschehens um den Tod ihrer Tochter, die in der Hauptfigur der “Ellena” unschwer wiederzuerkennen sei. Durch die Konzentration auf charakterliche und moralische Schwächen und die Hinzudichtung unwahrer Tatsachen erscheine F. in der Figur der “Ellena” in einem extrem negativen Licht, welches das Lebensbild ihrer Tochter entstelle und deren postmortalen Achtungsanspruch verletze.
[4] Die Klägerin erstrebt mit der vorliegenden negativen Feststellungsklage eine verbindliche Klärung ihrer Verwertungsrechte. Sie hat geltend gemacht, der “Hagener Mädchenmord” habe lediglich als eines von verschiedenen als “Ehrenmord” apostrophierten Tötungsdelikten die Folie für das Bühnenwerk gebildet, mit dem der Autor in einem Jugendstück kulturelle Prägungen der zweiten und dritten Immigrantengeneration habe thematisieren wollen. Die fiktive Rekonstruktion versuche, die aus einem vermeintlichen “Ehrenkodex” resultierenden Motive und Konflikte offen zu legen und auf diese Weise zur Diskussion unter Jugendlichen anzuregen. Die Leitfiguren seien erkennbar lediglich Prototypen mit generalisierenden Zügen, sodass der Zuschauer in der Figur der “Ellena” nicht die Tochter der Beklagten sehe.
[5] Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und gemäss dem zuletzt gestellten Antrag der Klägerin festgestellt, dass der Inszenierung, Aufführung und Veröffentlichung des Bühnenwerks “Ehrensache” Persönlichkeitsrechte der Beklagten und ihrer verstorbenen Tochter nicht entgegenstünden. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I. 
[6] Über die Revision war, da die Beklagte im Revisionstermin trotz rechtzeitiger Ladung nicht vertreten war, auf Antrag der Klägerin durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil ist jedoch keine Folge der Säumnis, sondern beruht auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 81).

II. 
[7] Das Berufungsgericht äussert Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage, lässt diese jedoch dahinstehen, weil die Feststellungsklage jedenfalls unbegründet sei. Das Bühnenstück “Ehrensache” verletze in rechtswidriger Weise das postmortale Persönlichkeitsrecht der in der Figur der “Ellena” ohne Weiteres erkennbaren Tochter der Beklagten, weil es deren Intimleben in unzu- lässiger Weise vor der Öffentlichkeit ausbreite und deren Lebensbild schwer- wiegend verfälsche und entstelle. Auch wenn das Bühnenstück durchaus eine achtenswerte Zielsetzung habe, müsse die Beklagte als Hüterin des postmortalen Persönlichkeitsrechts ihrer Tochter die Inszenierung, Aufführung und Veröffentlichung des Stücks jedenfalls so lange nicht dulden, wie die Erinnerung an die Tat und die Lebensumstände ihrer Tochter noch wach sei, wovon nach der bislang verstrichenen Zeit von lediglich etwas mehr als drei Jahren ausgegangen werden könne.

III.
[8] Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
[9] 1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bestehen gegen die Zulässigkeit der Klage keine Bedenken.
[10] a) Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Gegenstand einer Feststellungsklage grundsätzlich die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses sein. Unter Rechtsverhältnis ist eine bestimmte, rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu anderen Personen oder einer Person zu einer Sache zu verstehen (vgl. BGHZ 22, 43, 47; BGH, Urteile vom 31. Mai 2000 – XII ZR 41/98 – NJW 2000, 2663, 2664 und vom 7. Juni 2001 – I ZR 21/99 – NJW 2001, 3789). Vorliegend ist das Klagebegehren dahin zu verstehen, dass die Klägerin die Feststellung begehrt, dass zwischen ihr und der Beklagten ein bestimmtes Rechtsverhältnis nicht besteht.
[11] Der Klagegegenstand eines Rechtsstreits ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Für die Auslegung von Prozesserklärungen, die der erkennende Senat als Revisionsgericht selbst vornehmen kann (vgl. BGHZ 4, 328, 334; BGH, Urteil vom 29. Juni 2000 – I ZR 29/98 – NJW-RR 2001, 620, 623 m.w.N.), ist – ebenso wie bei materiell-rechtlichen Willenserklärungen – nicht allein der Wortlaut massgebend. Entscheidend ist vielmehr der erklärte Wille, wie er auch aus Begleitumständen und nicht zuletzt der Interessenlage hervorgehen kann. Für die Auslegung eines Klageantrags ist daher auch die Klagebegründung heranzuziehen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 1997 – II ZR 312/96 – NJW-RR 1998, 1005). Im Zweifel gilt, was nach den Massstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. Senatsurteil vom 6. Juni 2000 – VI ZR 172/99 – VersR 2000, 1521, 1522 m.w.N.).
[12] Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist Gegenstand des Rechtsstreits nicht allein die Frage der Rechtswidrigkeit einer bereits erfolgten (vgl. dazu Senatsurteil BGHZ 68, 331, 332 f.) oder aber für die Zukunft befürchteten Persönlichkeitsrechtsverletzung. Das in Form einer negativen Feststellungsklage geltend gemachte Begehren der Klägerin ist umfassender. Streitgegenstand einer negativen Feststellungsklage ist das Rechtsverhältnis, dessen Nichtbestehen die klagende Partei gerichtlich festgestellt wissen will (Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., Einleitung, Rn. 78 m.w.N.). Dieses ist vorliegend der Anspruch der Beklagten auf Unterlassung der Aufführung und Verbreitung des Bühnenstücks “Ehrensache”. Der Sache nach erstrebt die Klägerin die Feststellung, dass dieser Anspruch nicht besteht. Der Umstand, dass die Beklagte bislang nur einzelne Theater, nicht aber die Klägerin auf Unterlassung in Anspruch genommen hat, bedeutet nicht, dass zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits kein Rechtsverhältnis besteht. Die Beklagte hat die von ihr gegenüber den Theatern erhobenen Unterlassungsansprüche nämlich nicht allein auf die Ausgestaltung der jeweiligen Inszenierung gestützt, sondern – ebenso wie im vorliegenden Rechtsstreit – die von ihr geltend gemachte Verletzung des Persönlichkeitsrechts in erster Linie in dem Theaterstück selbst gesehen. Ihr geht es nicht um ein Aufführungsverbot hinsichtlich bestimmter, das Persönlichkeitsrecht besonders beeinträchtigender Szenen oder Inszenierungen, sondern darum, generell eine Veröffentlichung und Verbreitung des von ihr beanstandeten Dramas in der vorliegenden Fassung zu verhindern. Die Beklagte macht nicht etwa geltend, dass die Klägerin aus urheberrechtlichen Gründen das Werk nicht verbreiten dürfe (vgl. dazu BGH, Urteil vom 7. Juni 2001 – I ZR 21/99 – aaO), sondern sieht vielmehr in der Verbreitung, zu der auch die Übertragung der Verwertungsrechte zählt, eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Damit stellt sich die Frage der Zulässigkeit der Verbreitung des Werks auch zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits, denn mit der Übertragung der Verwertungsrechte ist die Klägerin selbst unmittelbar an der Verbreitung beteiligt. Mithin betrifft die von der Beklagten beanspruchte Unterlassung auch ein zwischen ihr und der Klägerin bestehendes Rechtsverhältnis.
[13] b) Das für die Zulässigkeit der Feststellungsklage gemäss § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor. Ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses ist gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage der klagenden Partei eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und wenn das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (BGHZ 69, 144, 147; BGH, Urteil vom 7. Februar 1986 – V ZR 201/84 – NJW 1986, 2507 m.w.N.). Als Inhaberin der Verwertungsrechte hat die Klägerin ein schützenswertes Interesse daran, dass die durch das Vorgehen der Beklagten gegen einzelne Theater entstandene Unsicherheit bezüglich der Rechtsfrage beseitigt wird, ob das Theaterstück veröffentlicht werden darf und von den Bühnen, denen die Klägerin die Verwertung der Urheberrechte übertragen hat oder zukünftig überträgt, ungehindert aufgeführt werden kann oder ob die Beklagte die Veröffentlichung und Verbreitung des Werks durch Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts verbieten lassen kann.
[14] Dem steht vorliegend nicht entgegen, dass bei einer negativen Feststellungsklage das rechtliche Interesse des Klägers regelmässig aus einer vom Beklagten aufgestellten Bestandsbehauptung (“Berühmung”) der vom Kläger verneinten Rechtslage entsteht (BGHZ 91, 37, 41; BGH, Urteil vom 22. März 1995 – XII ZR 20/94 – NJW 1995, 2032, 2033 m.w.N.). Eine ausdrückliche Berühmung des potentiellen Gläubigers ist dafür nämlich nicht erforderlich. Ein Feststellungsinteresse kann bereits gegeben sein, wenn der Kläger befürchten muss, dass ihm der Beklagte aufgrund seines vermeintlichen Rechts ernstliche Hindernisse entgegensetzen werde. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Beklagte mit einer nach Treu und Glauben zu erwartenden eindeutigen Erklärung zurückhält (BGHZ 69, 37, 46 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben, da die Beklagte nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen die von ihr verlangte Unterlassungsverpflichtungserklärung, die zur Beseitigung der entstandenen Rechtsunsicherheit geeignet gewesen wäre, nicht abgegeben hat. Im Hinblick darauf kann offen bleiben, ob das aufseiten der Klägerin erforderliche Feststellungsinteresse unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nicht schon im Hinblick darauf zu bejahen ist, dass die Beklagte sich gegenüber zahlreichen Theatern eines Anspruchs auf Unterlassung der Aufführung und damit auch der Verbreitung des Theaterstücks berühmt hat.
[15] 2. Die Klage ist auch begründet. Der Inszenierung, Aufführung und Veröffentlichung des Bühnenwerks “Ehrensache” stehen Persönlichkeitsrechte der Beklagten und ihrer verstorbenen Tochter nicht entgegen.
[16] a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts verletzt das Bühnenstück “Ehrensache” nicht das postmortale Persönlichkeitsrecht der Tochter der Beklagten. Anerkannt ist, dass die Persönlichkeit des Menschen über den Tod hinaus geschützt wird. Dies folgt aus dem Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Dem gegenüber kann das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nur einer lebenden Person zukommen, weil dieses auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit gerichtete Grundrecht die Existenz einer wenigstens potentiell oder zukünftig handlungsfähigen Person, also eines lebenden Menschen als unabdingbar voraussetzt (vgl. BVerfGE 30, 173, 194 = NJW 1971, 1645, 1647; Senatsurteil vom 6. Dezember 2005 – VI ZR 265/04 – VersR 2006, 276 m.w.N.). Die Schutzwirkungen des postmortalen Persönlichkeitsrechts sind nicht identisch mit denen, die sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG für den Schutz lebender Personen ergeben. Postmortal geschützt wird zum einen der allgemeine Achtungsanspruch, der dem Menschen als solchem zusteht, zum anderen der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat (BVerfG, AfP 2008, 161 = NJW 2008, 1657 [LS]). Steht fest, dass eine Handlung das postmortale Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt, ist zugleich ihre Rechtswidrigkeit geklärt. Der Schutz kann nicht etwa im Zuge einer Güterabwägung relativiert werden (vgl. BVerfG, VersR 2001, 1252, 1254; BVerfG, NJW 2006, 3409).
[17] Wenn – wie hier – zu untersuchen ist, ob ein dem Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG unterstehendes Kunstwerk die Menschenwürde eines Verstorbenen beeinträchtigt, kommt es auf eine Interpretation des Aussagegehalts dieses Kunstwerks an. Bei dieser Interpretation sind die Besonderheiten der künstlerischen Ausdrucksform zu berücksichtigen. Zu den Spezifika literarischer Kunstformen wie etwa eines zeitgenössischen Theaterstücks gehört, dass solche Stücke zwar häufig an die Realität anknüpfen, der Künstler dabei aber eine neue ästhetische Wirklichkeit schafft. Das erfordert eine kunstspezifische Betrachtung zur Bestimmung des durch das Theaterstück im jeweiligen Handlungszusammenhang dem Leser nahe gelegten Wirklichkeitsbezugs, um auf dieser Grundlage die Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts bewerten zu können. Die künstlerische Darstellung ist an einem kunstspezifischen, ästhetischen Massstab zu messen. Dabei ist zu beachten, ob und inwieweit das “Abbild” gegenüber dem “Urbild” durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der “Figur” objektiviert ist. Ein literarisches Werk, vorliegend ein Theaterstück, ist zunächst als Fiktion anzusehen, das keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Die Vermutung der Fiktionalität gilt im Ausgangspunkt auch dann, wenn hinter den Figuren reale Personen als Urbilder erkennbar sind (BVerfG, NJW 2008, 39, 42;Senatsurteil vom 10. Juni 2008 – VI ZR 252/07 – VersR 2008, 1080, 1081).
[18] Wie das Bundesverfassungsgericht nach Erlass des Berufungsurteils in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Beklagten, die in einem Parallelverfahren gegen ein Theater unterlegen war (LG Essen, ZUM-RD 2007, 92, nachfolgend: OLG Hamm, Beschluss vom 16. Mai 2007 – 3 U 258/06), entschieden hat, wird bei kunstspezifischer Betrachtung die Menschenwürde der verstorbenen Tochter der Beklagten durch das Theaterstück nicht angetastet.
[19] Die Beklagte macht eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts mit der Begründung geltend, ihre Tochter werde in dem Theaterstück verzerrt und einseitig negativ dargestellt. Damit kann sie keinen Erfolg haben. Dem Theaterstück “Ehrensache” dienten die Ereignisse um die Tötung der Tochter der Beklagten als Vorlage. In dem Stück werden episodenhaft und zum Teil in Form von Rückblenden der Ablauf des Tages bis zur Tat und Ereignisse aus dem Leben der getöteten “Ellena” erzählt, deren Figur an die Tochter der Beklagten angelehnt ist. Soweit diese beanstandet, in dem Theaterstück würden Begebenheiten gezeigt, die sich so nicht zugetragen hätten, begründet dies keine Verletzung der Menschenwürde. Mit dieser Begründung macht die Beklagte dem Autor des Theaterstücks gerade die Fiktionalität seines Werks zum Vorwurf. Nicht schon dadurch, dass eine bestimmte Person erkennbar Vorbild einer Figur in einem literarischen Kunstwerk ist, wird dem Leser oder Zuschauer nahe gelegt, alle Handlungen und Eigenschaften dieser Figur dieser Person zuzuschreiben. Für ein literarisches Werk, das an die Wirklichkeit anknüpft, ist vielmehr kennzeichnend, dass es tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt. Unter diesen Umständen verfehlte es den Grundrechtsschutz solcher Literatur, wenn man die Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits in der Erkennbarkeit als Vorbild einerseits und in bestimmten negativen Zügen der Figur andererseits sähe (vgl. BVerfG NJW 2008, 39, 42; Senatsurteilvom 10. Juni 2008 – VI ZR 252/07 – aaO). Die Beklagte bringt über die blosse Erkennbarkeit ihrer Tochter als Vorbild der Figur der “Ellena” hinaus keine Anhaltspunkte vor, die es nahe legen würden, bestimmte in dem Stück dargestellte Ereignisse als tatsächlich geschehen und damit die grundsätzlich geltende Vermutung der Fiktionalität daher als widerlegt anzusehen. Solche Anhaltspunkte sind auch nicht ersichtlich, zumal die Beklagte sich zu einem beträchtlichen Teil gegen Passagen wendet, in denen andere Figuren, deren Unzuverlässigkeit im Laufe des Stücks sogar ausdrücklich thematisiert wird, Handlungen und Eigenschaften der Figur der “Ellena” schildern und bewerten (BVerfG, AfP 2008, 161 = NJW 2008, 1657 [LS]).
[20] Wie die Revision mit Recht geltend macht, tastet das Theaterstück die Menschenwürde der Tochter der Beklagten auch insoweit nicht an, als in ihm Handlungen mit sexuellem Gehalt geschildert oder gezeigt werden. Zwar kann die realistische und detaillierte Schilderung solcher Handlungen lebender Personen in einem literarischen Text die absolut geschützte Intimsphäre des Betroffenen beeinträchtigen und deshalb unzulässig sein. Inwieweit sich dieser Gesichtspunkt auf das postmortale Persönlichkeitsrecht übertragen lässt, bedarf hier indes keiner Entscheidung. Eine Beeinträchtigung der Intimsphäre setzt jedenfalls voraus, dass der Text es nahe legt, die geschilderten Handlungen als Berichte über tatsächliche Ereignisse zu begreifen, etwa weil es sich um realistische und detaillierte Beschreibungen von Geschehnissen handelt, die der Autor selbst erlebt hat, und intime Details einer Frau geschildert werden, die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar ist (vgl. BVerfG NJW 2008, 39, 44; Senatsurteil vom 10. Juni 2008 – VI ZR 252/07 – aaO). Daran fehlt es hier.
[21] Schliesslich bedarf das postmortale Persönlichkeitsrecht der Tochter der Beklagten auch nicht deshalb besonderen Schutzes, weil sie zum Zeitpunkt ihres Todes noch minderjährig war. Der verstärkte Schutz des Persönlichkeitsrechts Minderjähriger findet seinen Grund in dem Bedürfnis, deren weitere Persönlichkeitsentwicklung zu gewährleisten (vgl. BVerfGE 101, 361, 385 f. = VersR 2000, 773, 775; BVerfG, NJW 2008, 39, 41; Senatsurteil vom 5. Oktober 2004 – VI ZR 255/03 – VersR 2005, 125, 126 m.w.N.), was bei einer Verstorbenen nicht in Betracht kommt.
[22] b) Das Bühnenstück “Ehrensache” verletzt auch nicht das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht (vgl. BVerfGE 67, 213, 228 = NJW 1985, 261; Senatsurteil vom 11. März 2008 – VI ZR 189/06 – VersR 2008, 695, 697 m.w.N.) der Beklagten. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, wird die Mutter der “Ellena” in dem Bühnenstück “Ehrensache” nicht dargestellt. Sie findet nur mittelbar Erwähnung, indem ein Streit zwischen den Eltern als Beweggrund für das Verhalten von “Ellena” angegeben wird. Auch insoweit sind indessen keine Anhaltspunkte ersichtlich, die es nahe legen würden, diese in dem Stück dargestellte Vorgeschichte als tatsächlich geschehen anzusehen. Die grundsätzlich geltende Vermutung der Fiktionalität ist auch insoweit nicht widerlegt.

IV.
[23] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Müller Stöhr Wellner Zoll Pauge

Vorinstanzen

LG Köln, Entscheidung vom 14.02.2007 – 28 O 292/06 –
OLG Köln, Entscheidung vom 18.09.2007 – 15 U 64/07 –

Quelle: http:/www.bundesgerichtshof.de