Pressefreiheit

Die private Presse muss keine Anzeigen und Leserzuschriften einer politischen Partei (hier: AfD) veröffentlichen. Sie ist selbst bei einer regionalen Monopolstellung nicht zur Neutralität verpflichtet, sondern geniesst verlegerische Freiheit.

BVerfG,  Beschluss vom 27.11.2015  – 2  BvQ 43/15 –
Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG

Leitsatz (tm.)

Die privatwirtschaftlich organisierte Presse ist bei der Auswahl der von ihr verbreiteten Nachrichten und Meinungen nicht zur Neutralität und daher, selbst bei einer regionalen Monopolstellung, auch nicht dazu verpflichtet, Anzeigen und Leserzuschriften einer politischen Partei zu veröffentlichen.

Rubrum

In dem Verfahren über den Antrag im Wege der einstweiligen Anordnung

1.  die Beschlüsse des Thüringer Oberlandesgerichts vom 26. November 2015 – 2 W 578/15 – sowie des Landgerichts Erfurt  vom 19. November 2015 – 3 O 1379/15 – aufzuheben,
2.  die Mediengruppe Thüringen Verlag GmbH zu verpflichten, das an diese gerichtete Angebot der Antragstellerin vom 16. November 2015 auf Veröffentlichung einer Anzeige in der Ausgabe der Thüringer Landeszeitung und der Ostthüringer Landeszeitung vom 28. November 2015 zu den Bedingungen ihrer jeweils gültigen Anzeigenpreisliste anzunehmen,
3.  die Allgemeiner Anzeiger GmbH zu verpflichten, das an diese gerichtete Angebot der Antragstellerin vom 16. November 2015 auf Veröffentlichung einer Anzeige in der Ausgabe des Allgemeinen Anzeigers vom 29. November 2015 zu den Bedingungen ihrer jeweils gültigen Anzeigenpreisliste anzunehmen

Antragstellerin: AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, Jürgen-Fuchs-Strasse 1, 99096 Erfurt  – Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Sascha Schlösser, Augustinerstrasse 48, 99084 Erfurt –

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Landau, Müller und die Richterin Kessal-Wulf  gemäss § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)am 27. November 2015 einstimmig beschlossen:

Tenor

Auf die Gegenvorstellung der Antragstellerin wird der Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. November 2015 aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

[1] 1. Auf den als Gegenvorstellung zu wertenden Schriftsatz der Antragstellerin vom 27. November 2015 war der Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom heutigen Tage aufzuheben (vgl. Hammer, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2015, § 93 Rn. 56).

[2] Vorgenannter Beschluss beruhte auf der fehlenden Übersendung des seitens der Antragstellerin angegriffenen Beschlusses des Landgerichts Erfurt vom 19. November 2015. Die Antragstellerin hat jedoch nach Erlass des Beschlusses vom heutigen Tage eidesstattlich versichert, auf den zuvor unternommenen erfolglosen Versuch, den Beschluss des Landgerichts Erfurt als Anlage zum Antragsschriftsatz per Fax zu übermitteln, die Faxeingangsstelle des Bundesverfassungsgerichts kontaktiert und die Auskunft erhalten zu haben, dass eine Übersendung der Anlagen mittels E-Mail ausreichend sei. Dieser Umstand rechtfertigt die Aufhebung des Beschlusses vom heutigen Tage sowie eine erneute Entscheidung.

[3] 2. Die Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Anordnung liegen indes nicht vor.

[4] a) Ein Antrag nach § 32 Abs. 1 BVerfGG ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung substantiiert dargelegt sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Oktober 2006 – 1 BvQ 30/06 -, juris; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. November 2006 – 1 BvQ 33/06 -, juris; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. August 2015 – 1 BvQ 28/15 -, juris). Dazu gehört auch die substantiierte Darlegung, dass der – wie hier noch zu stellende – Antrag in der Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. August 2015 – 1 BvQ 28/15 -, juris; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. September 2015 – 2 BvQ 29/15 -, juris).

[5] b) Gemessen hieran kann eine einstweilige Anordnung nicht ergehen. Der gestellte Antrag ist unbegründet, da eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet wäre.

[6] In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass die privatwirtschaftlich organisierte Presse bei der Auswahl der von ihr verbreiteten Nachrichten und Meinungen der Verpflichtung zu Neutralität nicht unterliegt (vgl. BVerfGE 37, 84 <91>). Anders als die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten dürfen Presseorgane auch den Abdruck von Anzeigen und Leserzuschriften einer bestimmten Tendenz verweigern, ohne dass darin eine unzulässige Beeinträchtigung der Freiheit der politischen Willensbildung läge, selbst wenn zugleich entgegenstehenden Meinungen Raum gegeben würde. Daran ändert auch eine regionale Monopolstellung nichts. Da politische Wettbewerber – nicht zuletzt aufgrund der Entwicklung der modernen Informationstechnologien – über vielfältige Möglichkeiten der Verbreitung von Informationen verfügen, bedarf es auch bei einer regionalen Monopolstellung eines Presseorgans keiner Einschränkung der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten verlegerischen Freiheit (vgl. BVerfGE 37, 84 <91>; 42, 53 <62>; Löffler, Presserecht, 6. Aufl. 2015, BT Anz Rn. 61 ff.).

[7] Nichts anderes kann vorliegend gelten. Selbst wenn den von der Antragstellerin bezeichneten und in privater Hand betriebenen Mediengruppen eine regionale Monopolstellung zukäme, kann hieraus eine Verpflichtung zum Abdruck von Anzeigen, die die Einladung zu einem „Bürgerdialog“ der Antragstellerin zum Gegenstand haben, mit dem ihr „Konzept zur Asyl- und Zuwanderungspolitik“ vorgestellt werden soll, nicht hergeleitet werden. Die Antragstellerin verfügt über sonstige Möglichkeiten, für die Veranstaltung in anderer Form zu werben und hat davon – wie ihr Internetauftritt zeigt – auch Gebrauch gemacht. Daher begegnen die diesbezüglichen Erwägungen in den angegriffenen Beschlüssen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

[8] Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Landau Müller Kessal-Wulf

Quelle: https://www.bundesverfassungsgericht.de/ (Bundesverfassungsgericht, 76131 Karlsruhe)

Leitsatz, Überschriften, Format und Rechtschreibung: http://www.debier.de (debier-datenbank, RA Torsten Mahncke, Berlin)