NS-Vergangenheit

Finger weg von privaten Briefen! Anfang der 70-iger Jahre hatte Günter Grass in privaten Briefen den Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller gedrängt, er möge sich zu seiner NS-Vergangenheit bekennen. Über die eigene NS-Vergangenheit hatte Grass erst 2006 literarisch berichtet. Ist zwar bemerkenswert, rechtfertigt es aber nicht, die Briefe ohne seine Erlaubnis in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu veröffentlichen. Dies stellt trotz Pressefreiheit einen Eingriff in das Veröffentlichkeitsrecht des Urhebers dar. (tm.)

KG Berlin, Urteil vom 27.11.2007 – 5 U 63/07 – (LG Berlin)
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
§§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 6 Abs. 1, 12 Abs. 1, 51, 97 Abs. 1 UrhG

Leitsätze (tm.)

1. Zu der Frage, ob die ungenehmigte Erstveröffentlichung privater Briefe von Günter Grass in der Tageszeitung “Frankfurter Allgemeine Zeitung” durch die Berufung auf das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit gerechtfertigt sein kann.
2. Liegen alle Tatbestandsmerkmale einer Urheberrechtsverletzung und keine Tatbestandsmerkmale einer der Schrankenbestimmungen der §§ 45 ff UrhG, vor, findet hinsichtlich der Frage der Widerrechtlichkeit des Eingriffs grundsätzlich keine weitere verfassungsrechtliche Güter- und Interessenabwägung statt.
3. Das Erstveröffentlichungsrecht ist Ausfluss des Urheberpersönlichkeitsrechts, das nach der Entscheidung des Gesetzgebers, – abgesehen von §§ 45, 57 UrhG – uneingeschränkt geschützt ist. Die Meinungs- und Pressefreiheit kann einen Eingriff allenfalls ganz ausnahmsweise rechtfertigen.

Tenor

1. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23..012007 – 16 O 908/06 – wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zweiter Instanz zu tragen.

Gründe

A.
Von der Wiedergabe eines Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2 i.V. mit § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

B.
Die Berufung der Antragsgegnerin ist an sich statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch sonst zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte – dringende – Anspruch auf Unterlassung aus § 97 Abs. 1 UrhG zu. Mit Recht hat das Landgericht eine widerrechtliche Verletzung des dem Antragsteller an den beiden Briefen zustehenden Urheberrechts durch die Antragsgegnerin angenommen.

I. 
Mit Recht – und auch von der Berufung nicht in Zweifel gezogen – bewertet das Landgericht beide Briefe als urheberrechtsschutzfähige Schriftwerke i.S. von § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG. Es handelt sich um persönliche geistige Schöpfungen des Antragstellers.

II.
Die Veröffentlichung der beiden Briefe verletzt den Antragsteller in seinem Recht aus § 12 Abs. 1 UrhG. Nach der genannten Vorschrift hat der Urheber das Recht zu bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist. Mit dem streitgegenständlichen Abdruck sind beide Briefe (erstmals) i.S. von § 6 Abs. 1 UrhG “der Öffentlichkeit zugänglich gemacht” worden. Damit ist – wie das Landgericht im Einzelnen zutreffend dargelegt hat – in das dem Antragsteller zustehende Veröffentlichungsrecht eingegriffen worden. Auch das greift die Berufung – mit Recht – nicht an.

III.
Entgegen der Auffassung der Berufung ist besagte Verletzung des Antragstellers in seinem Recht aus § 12 Abs. 1 UrhG widerrechtlich erfolgt. Weder liegt eine Zustimmung des Antragstellers vor (dazu sogleich B III 1), noch ist die Verletzung durch eine urheberrechtlich normierte Schranke (nachfolgend B III 2) noch von Verfassungs wegen (unten B III 3) gerechtfertigt.

1. Die in der “F A” vom 29. September 2006 erfolgte Veröffentlichung ist ohne Zustimmung des Antragstellers erfolgt. Eine ausdrückliche Zustimmung steht nicht in Rede. Auch für ein konkludente oder stillschweigende Zustimmung (dazu Katzenberger in: Schricker, Urheberrecht, 3. Aufl., § 6 Rdn. 25 m.w.N.) des Antragstellers zu einer Veröffentlichung in besagter Zeitung ist nichts ersichtlich.

2. Der Eingriff ist auch nicht durch eine der in §§ 44a ff. UrhG normierten Schranken gedeckt. Insbesondere auf das in § 51 UrhG geregelte Zitatrecht kann der Eingriff – worauf die Berufung selbst zutreffend hinweist – nicht gestützt werden, da Nr. 2 besagter Vorschrift ein veröffentlichtes und die beiden anderen Varianten sogar ein erschienenes Werk voraussetzen, sodass die Vorschrift dem Wortlaut nach schon aus diesem Grunde nicht greift.
Auch eine entsprechende Ausdehnung des aus § 51 UrhG folgenden Rechtsgedankens auf unveröffentlichte Werke als Zitierobjekte verbietet sich (und wird ebenfalls von der Berufung mit Recht nicht geltend gemacht). Zwar können gewisse Lücken des Zitatrechts durch ausdehnende Auslegung bzw. Analogie gefüllt werden, so etwa durch Erstreckung des Rechts zum Kleinzitat nach § 51 Nr. 2 UrhG auf das Zitat vollständiger Bilder (Senat UFITA 54 [1969] 296, 300 – Extradienst) oder durch Zulassung von Filmzitaten (BGHZ 99, 162, 165 – Filmzitat). Die Grundlinien des Zitatrechts wie insbesondere auch die im Interesse des Persönlichkeitsschutzes statuierte Beschränkung auf veröffentlichte bzw. erschienene Werke dürfen aber durch eine extensive Auslegung nicht überschritten werden (Schricker in: Schricker, a.a.O. § 51 Rdn. 9; Dreier in: Dreier/Schulze, UrhG, 2. Aufl., § 51 Rdn. 22), zumal diese Beschränkung der Zitierfreiheit auch den – abschließenden – Vorgaben des Konventionsrechts (Art. 10 Abs. 1 RBÜ) und des – zur Umsetzung akut anstehenden – Europäischen Rechts (Art. 2 lit. a i.V. mit Art. 5 Abs. 3 lit. d der Richtlinie 2001/29/EG v. 22.05.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft; dazu auch Schack in: Festschrift für Schricker [2005], S. 511, 512) entspricht (zur Umsetzung siehe § 51 UrhG in der am 1. Januar 2008 in Kraft tretenden Fassung, in: BGBl. I 2007, 2513, 2514, und dazu die Begründung in: Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, S. 53).

3. Der Eingriff in das Veröffentlichungsrecht des Antragstellers lässt sich auch nicht mit verfassungsrechtlichen Erwägungen rechtfertigen.

a) Die Berufung meint, der gesetzliche Schrankenkatalog sei gem. §§ 44a ff. UrhG mit Blick auf das auch hier betroffene Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht abschließend, sondern es habe in jedem Fall zusätzlich eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechte stattzufinden, die vorliegend zu einem anderen Ergebnis (als einem zu verhängenden Verbot) komme. Es habe sich nicht nur um einen privaten Briefwechsel zwischen zwei Privatpersonen gehandelt, sondern um einen Briefwechsel zwischen einem [jetzigen] Literatur- Nobelpreisträger und dem damaligen Bundeswirtschafts- und Finanzminister an dessen Dienstanschrift, der den Versuch einer politischen Einflussnahme auf einen Bundesminister dokumentiere. Die Briefe hätten im veröffentlichten Umfang abgedruckt werden müssen, um dokumentieren zu können, dass der Antragsteller aus seiner Tätigkeit im Wahlkampf heraus das Recht beansprucht habe, dem damaligen Bundeswirtschaftsminister in einem geradezu herablassenden Ton nicht nur Wahlkampftipps zu geben, sondern ihn auch darüber zu belehren, wann und wie er seine NS-Vergangenheit zu veröffentlichen habe. Zitaten kämen in einem derartigen Zusammenhang eine besondere Überzeugungs- und Beweiskraft zu. Soweit es für den Zweck der “Beweisführung” erforderlich sei, sei deshalb von der Rechtsprechung in der Vergangenheit bereits anerkannt worden, dass auch ganze Texte aufgrund ihrer Dokumentationsfunktion zitiert werden könnten. Die erfolgte Veröffentlichung habe auch nicht ein eigenes Werk ersetzen sollen; es sei der Antragsgegnerin ersichtlich um die Auseinandersetzung mit der Art und Weise des Vorgehens des Antragstellers und deren Dokumentation und nicht um die Darstellung des Sprachwerks des Antragstellers in Form der Briefe gegangen. Diese Darlegungen verhelfen der Berufung nicht zum Erfolg.

b) Gegen eine – zuweilen anzutreffende – Annahme, ein Eingriff könne trotz des Vorliegens aller Tatbestandsmerkmale einer Urheberrechtsverletzung aufgrund einer verfassungsrechtlichen Güter- und Interessenabwägung gerechtfertigt sein, wendet sich der Bundesgerichtshof und führt hierzu Folgendes aus (BGHZ 154, 260, 264 ff. – Gies-Adler):

“a) Das Urheberrechtsgesetz enthält grundsätzlich eine abschließende Regelung der aus dem Urheberrecht fließenden Befugnisse. Das dem Urheber vom Gesetz eingeräumte Ausschließlichkeitsrecht ist das Ergebnis einer vom Gesetzgeber bereits vorgenommenen Abwägung zwischen dem Interesse des Urhebers an einer möglichst umfassenden und uneingeschränkten Ausschließlichkeitsbefugnis und den Interessen der Allgemeinheit an einem möglichst unbeschränkten Zugang und einer möglichst umfassenden Nutzung des urheberrechtlich geschützten Werks. Schon die für den Regelfall geltende Begrenzung des urheberrechtlichen Schutzes auf die Ausdrucksform (vgl. Art. 9 Abs. 2 TRIPS-Übereinkommen) führt dazu, daß über den Inhalt eines geschützten Werkes im allgemeinen weitgehend unbeschränkt berichtet werden kann. Darüber hinaus tragen die dem Urheber nach dem Gesetz eingeräumten Verwertungsrechte weitgehend dem Umstand Rechnung, daß die Informationsbeschaffung und -vermittlung nicht mehr als notwendig beschränkt werden sollte. Unter bestimmten Umständen kann der Urheberrechtsberechtigte auch verpflichtet sein, Nutzungswilligen ein Nutzungsrecht einzuräumen (vgl. Fikentscher in Festschrift Schricker [1995], S. 149, 167 ff.; Erdmann in Festschrift Odersky [1996], S. 959, 966 f.; EuGH, Urt. v. 6.4.1995 – C-241/91, Slg. 1995, I- 743 = GRUR Int. 1995, 490 Tz. 50 – Magill). Schließlich sind die urheberrechtlichen Befugnisse in vielfältiger Weise durch die Schrankenbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes begrenzt, die im einzelnen den entgegenstehenden Interessen sowohl der Allgemeinheit als auch spezieller Nutzungsgruppen Rechnung tragen (vgl.BGHZ 150, 6, 8 – Verhüllter Reichstag; 151, 300, 310 – Elektronischer Pressespiegel). Besteht beispielsweise an der Wiedergabe eines geschützten Werkes ein gesteigertes öffentliches Interesse, kann dies unter Umständen schon bei der Auslegung der dem Urheber zustehenden Befugnisse, in jedem Fall aber bei der Auslegung der Schrankenbestimmungen berücksichtigt werden und im Einzelfall dazu führen, daß eine enge, am Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung einer großzügigeren, dem Informations- und Nutzungsinteresse der Allgemeinheit Rechnung tragenden Interpretation weichen muß (BGHZ 150, 6, 8 f. – Verhüllter Reichstag; vgl. auch BVerfG GRUR 2001, 149, 151 f. – Germania 3, zu § 51 Nr. 2 UrhG und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG; Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 9. Aufl., vor § 45 UrhG Rdn. 6; Melichar in Schricker, Urheberrecht, 2. Aufl., vor §§ 45 ff. UrhG Rdn. 15 f.; Ahlberg in Möhring/Nicolini, Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl., Einl. 53; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 2. Aufl., Rdn. 86 u. 480 ff.; ders., JZ 2002, 1007, 1008; Bornkamm in Festschrift Piper [1996], S. 641, 648 ff.). In jedem Fall sind neben den Interessen des Urhebers die durch die Schrankenbestimmungen geschützten Interessen zu beachten und ihrem Gewicht entsprechend für die Auslegung der gesetzlichen Regelung heranzuziehen (BGHZ 151, 300, 311 – Elektronischer Pressespiegel).
b) Für eine außerhalb der urheberrechtlichen Verwertungsbefugnisse sowie der Schrankenbestimmungen der §§ 45 ff. UrhG angesiedelte allgemeine Güter- und Interessenabwägung ist danach kein Raum. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht kann der Konflikt zwischen dem Urheberrecht und den Kommunikationsgrundrechten nicht mit Hilfe einer solchen außerhalb der urheberrechtlichen Tatbestände erfolgenden Abwägung oder gar unter Rückgriff auf das Institut des übergesetzlichen Notstands gelöst werden (so aber Wild in Schricker aaO § 97 UrhG Rdn. 20 ff.; v. Wolff in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, § 97 UrhG Rdn. 31; dagegen bereits Melichar in Schricker aaO vor §§ 45 ff. UrhG Rdn. 14; Schricker in Schricker aaO § 51 UrhG Rdn. 8; Schack aaO Rdn. 481a u. 492; Nordemann in Fromm/Nordemann aaO vor § 45 UrhG Rdn. 6; Bornkamm aaO S. 646 ff.; Seifert in Festschrift Erdmann [2002], S. 195, 207 ff.). Das für das Strafrecht entwickelte Institut des übergesetzlichen Notstands hat mittlerweile als rechtfertigender Notstand Eingang in das Strafgesetzbuch und in das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gefunden (vgl. § 34 StGB, § 16 OWiG). Zwar schließt der rechtfertigende Notstand nach diesen Bestimmungen die Rechtswidrigkeit auch im Zivilrecht aus. Für das Eigentum und für eigentumsähnliche Rechte greifen indessen die bürgerlichrechtlichen Spezialregeln der §§ 228, 904 BGB ein (vgl. Grothe in MünchKomm.BGB, 4. Aufl., § 228 Rdn. 2). Die danach im Streitfall allein in Betracht kommende Bestimmung des § 904 BGB ist indessen – ebenso wie § 34 StGB und § 16 OWiG – an enge Voraussetzungen gebunden, für deren Vorliegen im Streitfall nichts ersichtlich ist.
c) Eine – der urheberrechtlichen Regelung und den hier nicht einschlägigen Notstandsbestimmungen nachgeschaltete – allgemeine Güter- und Interessenabwägung überschreitet die Kompetenzen der Zivilgerichte. Das positive Recht ist verfassungskonform auszulegen. Bei der Anwendung des Urheberrechtsgesetzes ist es namentlich Aufgabe der Gerichte, bei der Bestimmung der Verwertungsbefugnisse der Urheber und bei der Auslegung der Schrankenbestimmungen die verfassungsrechtlich verbrieften Interessen der Nutzerseite angemessen zu berücksichtigen. Im Rahmen dieser Gesetzesanwendung ist Raum für eine Güter- und Interessenabwägung. Soweit das Gesetz den Kommunikationsgrundrechten des Art. 5 GG, insbesondere der Pressefreiheit, aber nicht hinreichend Rechnung trägt und eine Lösung durch eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes – etwa wegen eines eindeutigen Gesetzeswortlauts – nicht möglich erscheint, ist es allein Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Verfassungswidrigkeit der betreffenden gesetzlichen Bestimmung festzustellen. Der Zivilrichter kann diesen Konflikt nicht durch Nichtanwendung der seines Erachtens verfassungswidrigen Bestimmung lösen.”

c) Des Weiteren heißt es in BGH GRUR 2005, 940, 942 – Marktstudien:

“d) Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht deshalb als zutreffend, weil die Beklagte, wie sie meint, aufgrund der Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu einem – unterstellten – Eingriff in die geschützten Rechte der Klägerin als Datenbankherstellerin berechtigt wäre. Das Grundrecht der Pressefreiheit wird nach Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze eingeschränkt, zu denen auch das Urheberrechtsgesetz gehört. Das Urheberrechtsgesetz hat den Konflikt zwischen dem Interesse der Presse an einer freien Berichterstattung über urheberrechtlich geschützte Werke sowie durch verwandte Schutzrechte geschützte Leistungen und dem Interesse des Urhebers und des Inhabers verwandter Schutzrechte an der Verwertung ihrer Rechte geregelt (vgl. BGH, Urt. v. 7.3.1985 – I ZR 70/82, GRUR 1987, 34, 35 – Liedtextwiedergabe; vgl. auch BGHZ 154, 260, 264 ff. – Gies-Adler). Dem Interesse der Allgemeinheit an einem ungehinderten Zugang zu Informationen trägt § 87b Abs. 1 UrhG dadurch Rechnung, daß eine Nutzung erlaubt ist, wenn sie keinen wesentlichen Teil der Datenbank betrifft, der normalen Auswertung der Datenbank nicht zuwiderläuft und die berechtigten Interessen des Datenbankherstellers nicht unzumutbar beeinträchtigt werden (vgl. Vogel in Schricker aaO, Vor §§ 87a ff. UrhG Rdn. 18; Dreier in Dreier/Schulze aaO, § 87b Rdn. 5 ff.). Nach Nr. 42 der Erwägungsgründe der Datenbank-Richtlinie stellt das Recht auf Untersagung der unerlaubten Weiterverwendung auf Handlungen des Benutzers ab, die über dessen begründete Rechte hinausgehen und einen erheblichen Schaden für die Investitionen des Datenbankherstellers verursachen. Zu einem derartigen Eingriff in die Rechte der Klägerin ist die Beklagte auch nicht aufgrund der Pressefreiheit berechtigt.”

d) Der Senat kann offen lassen, ob der Begriff der Widerrechtlichkeit in § 97 Abs. 1 UrhG im Einzelfall verfassungskonform dahin gehend auszulegen ist, dass im Rahmen einer Güter- und Pflichtenabwägung überragende Bedürfnisse der Meinungs- und Pressefreiheit einen Eingriff in das Veröffentlichungsrecht des Urhebers rechtfertigen können (vgl. Senat NJW 1995, 3392, 3394 – Botho Strauß; OLG Hamburg GRUR 2000, 146, 147 – Berufungsschrift [vom BVerfG NJW 2000, 2416 f., nicht beanstandet]; OLG Stuttgart NJW-RR 2004, 619; 621; s.a. BVerfG GRUR 2001, 149 – Germania 3). Denn auch eine solche Abwägung führt im Streitfall zu keinem der Antragsgegnerin günstigeren Ergebnis. Ein Verbot, die beiden Briefe (nahezu) vollumfänglich zu veröffentlichen, steht auch mit verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang.

aa) Die in Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistete Meinungs- und Pressefreiheit findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Zu diesen allgemeinen Gesetzen zählt das Urheberrechtsgesetz. Danach hat das Urheberrecht eine persönlichkeitsrechtliche Komponente (§§ 12 ff. UrhG) und eine verwertungsrechtliche Komponente (§§ 15 ff. UrhG). Erstere genießt den Grundrechtsschutz des Art. 1 Abs. 1 i.V. mit Art. 2 Abs. 1 GG, letztere denjenigen des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Da die Ausübung des Urheberrechts zugleich Grundrechte Dritter tangiert (bspw. Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit), gilt es, diese widerstreitenden Grundrechtspositionen im Wege der Güter- und Interessenabwägung auszugleichen. Diesen Ausgleich im Wege der Güter- und Interessenabwägung hat der Gesetzgeber u.a. mit den urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen (§§ 44a ff. UrhG) vorgenommen. So können Presseunternehmen etwa zurückgreifen auf die Schrankenbestimmungen des § 48 UrhG (öffentliche Reden), § 49 UrhG (Zeitungsartikel und Rundfunkkommentare), § 50 UrhG (Berichterstattung über Tagesereignisse) und § 51 UrhG (Zitate). Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, diese Schranken, namentlich das Zitatrecht, ihrerseits zu beschränken auf veröffentlichte Werke. Er hat damit dem – gleichfalls auf Grundrechtsschutz fußendem – Urheberrechtspersönlichkeitsrecht den Vorzug eingeräumt und damit zugleich – wie dargestellt – internationalrechtlichen Vorgaben Rechnung getragen. Hiergegen ist von Verfassungs wegen nichts zu erinnern.

bb) Das hier in Rede stehende Veröffentlichungsrecht ist Ausfluss des Urheberpersönlichkeitsrechts (Schulze in: Dreier/Schulze, a.a.O., vor § 12 Rdn. 2), welches verfassungsrechtlich in Art. 1 Abs. 1 i.V. mit Art. 2 Abs. 1 GG verankert ist. Das Veröffentlichungsrecht steht im Rahmen der Regelung des Urheberpersönlichkeitsrechts i.e.S. (§§ 12-14 UrhG) an erster Stelle. Dies entspricht seiner hervorragenden Bedeutung als Grundnorm des Urheberrechtsschutzes. Die Ausübung des Veröffentlichungsrechts durch den Urheber selbst oder mit seiner Zustimmung führt zur Entlassung des Werkes aus seiner Geheimsphäre oder jedenfalls seiner Privatsphäre. Das spezifisch persönlichkeitsrechtliche Element des Rechts des Urhebers, darüber zu bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist, liegt in der mit der Erstveröffentlichung verbundenen Offenlegung seiner geistigen, ästhetischen, künstlerischen, wissenschaftlichen, politischen usw. Anschauungen und Fähigkeiten; der Urheber setzt dieses und damit sich selber als Person der öffentlichen Kenntnisnahme und Kritik aus. Durch die Veröffentlichung tritt das Werk in den kulturellen Kommunikationskreislauf ein. Die Veröffentlichung führt aber auch zu einer Beschränkung des Urheberrechtsschutzes im Rahmen der Schrankenvorschriften der §§ 45 ff. UrhG, soweit diese – wie etwa §§ 46-49, 51-52a, 59 UrhG – die Veröffentlichung des Werkes in einfacher Form (§ 6 Abs. 1 UrhG) oder in der qualifizierten Form des Erscheinens (§ 6 Abs. 2 UrhG) voraussetzen (alles Vorstehende: Dietz in: Schricker, a.a.O., § 12 Rdn. 1 m.w.N.).
Angesichts der Entscheidung des Gesetzgebers, das Erstveröffentlichungsrecht des Urhebers – abgesehen von §§ 45, 57 UrhG – uneingeschränkt zu schützen, kann die Meinungs- und Pressefreiheit einen Eingriff allenfalls ganz ausnahmsweise rechtfertigen.

cc) Der Antragsteller hat hier ein nachvollziehbares Interesse, dass seine Jahrzehnte alten Briefe an einen damaligen (politischen) Freund nicht öffentlich gemacht werden, auch wenn sie sich mit allgemein interessierenden Angelegenheiten beschäftigten und der Antragsteller nicht in einer (auch gar nicht beabsichtigten) wirtschaftlichen Verwertung beeinträchtigt wird, sondern in Aspekten seines (Urheber-) Persönlichkeitsrechts bezüglich seiner geistigen, persönlichen und politischen Haltung zum Empfänger der in Rede stehenden Briefe.
Auf der anderen Seite ist auch die durchaus große zeitgeschichtliche Bedeutung des Umstands nicht zu verkennen, dass der Antragsteller als herausragender deutscher Schriftsteller und zwischenzeitlicher Literatur-Nobelpreisträger, der über Jahrzehnte eine Position als moralische Autorität – auch im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der NS-Zeit – in Anspruch genommen hat, sich erst spät dazu bekannt hat, dass er als Jugendlicher Mitglied der Waffen-SS war. In diesem Zusammenhang ist es für die Öffentlichkeit in der Tat von beachtlichem Interesse, dass der Antragsteller 1969/70 einen (politischen) Freund – den damaligen Wirtschaftsminister – brieflich dazu drängte, sich öffentlich zu dessen Funktion in der NS-Zeit zu bekennen, bzw. ihn (herb) dafür kritisierte, dass dieser seiner Anregung nicht folgte.

Das rechtfertigt andererseits aber jedenfalls nicht die – allein in Streit stehende – fast vollständige Veröffentlichung der in Rede stehenden Briefe in ihrer Gesamtheit. Die Antragsgegnerin macht auf diese Weise den Antragsteller mit seinen eigenen, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten, Worten zum Zeugen gegen sich selbst, beispielsweise auch, was den Ton seiner Belehrungen zur Wahlkampfführung an den Minister angeht, die mit dem heute vornehmlich interessierenden Thema des beiderseitigen Verhaltens während der Nazizeit in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Jedenfalls eine derart umfassende Wiedergabe der Briefe ist, auch wenn andererseits Zitate nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden dürfen, durch ein – grundsätzlich nicht von der Hand zu weisendes – Berichterstattungsinteresse der Antragsgegnerin nicht gerechtfertigt, da dieses Interesse insoweit hinter dem aus dem (Urheber-) Persönlichkeitsrecht fließenden “Geheimhaltungsinteresse” des Antragstellers zurückzustehen hat.

C. 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 UrhG. Eines Ausspruchs zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedarf es bei zusprechenden Entscheidungen in Eilverfahren nicht.

Bulling, RiKG Dr. Pahl ist durch Urlaub gehindert, seine Unterschrift einzufügen. Bulling, Dr. Hess

Vorinstanz

LG Berlin 16 O 908/06

Quelle: http://www.berlin.de/ (Kammergericht – Entscheidungen – Zivilsachen)