Kunstfälschung

LG Berlin: Nachahmung eines Gemäldes von Max Pechstein darf vernichtet werden. Die nahezu identische Nachahmung des Originals und dessen Versteigerung greifen in das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht der urheberberechtigten Erben ein.

LG Berlin, Urteil vom 17.11.2016 – 28 O 498/14 –
§§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 16, 17, 28, 30, 98 Abs. 1 UrhG
§§ 280 Abs. 1, 286, 985, 986, 1922 BGB
§§ 33, 263, 286 ZPO

Leitsätze (tm.)

1. Die nahezu identische Nachahmung eines Gemäldes (hier: „Ausfahrendes Kanu I” von Max Pechstein) ist eine Vervielfältigung des Originals.

2. Die Einlieferung einer solchen Vervielfältigung zur Versteigerung bei einem Kunstauktionshaus stellt einen Eingriff in das Verbreitungsrecht des Urheberberechtigten am Original dar.

3. Dem Urheberberechtigten kann deswegen gegen den Eigentümer des Palgiats ein Anspruch auf dessen Vernichtung zustehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Eigentümer bei dessen Erwerb und Einlieferung gutgläubig war. Denn der Anspruch ist Folgenbeseitigungsanspruch und setzt kein Verschulden des Verletzers voraus.

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 147,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Januar 2015 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger wird verurteilt, hinsichtlich des Objekts Tuschpinselzeichnung „Strandszene mit Boot”, rechts unten mit „HMP” monogrammiert und mit dem Zusatz „1914″ datiert, eingeliefert von dem Kläger bei der ▪▪▪ GmbH & Co. KG am ▪▪▪2014, derzeit bei dem LKA Berlin asserviert mit der Nr. 34/15, in die Vernichtung einzuwilligen.

3. Von den Gerichtskosten und den aussergerichtlichen Kosten des Klägers haben der Kläger 95 % und die Beklagte 5 % zu tragen. Die aussergerichtlichen Kosten der Beklagten haben diese selbst zu 10 % und der Kläger zu 90 % zu übernehmen. Die aussergerichtlichen Kosten der Drittwiderkläger werden dem Kläger auferlegt.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

[1] Die Beklagte veranstaltet Kunstauktionen. Der Kläger ist Eigentümer der Tuschpinselzeichnung „Strandszene mit Boot” (411400920), die rechts unten mit „HMP” monogrammiert ist und den Zusatz „1914″ enthält. Ob Hermann Max Pechstein der Urheber dieses Werks ist, blieb zwischen den Parteien streitig. Ausserdem gehört dem Kläger auch die signierte Kaltnadelradierung „Selbstbildnis” (411400922), die unstreitig aus der Hand des Malers Hermann Max Pechstein stammt.

[2] Die Drittwiderkläger sowie die sich weiter aus dem Passivrubrum der Drittwiderklage ergebenden vier natürlichen Personen sind in ungeteilter Erbengemeinschaft Inhaber der Urheberrechte des Künstlers Hermann Max Pechstein und treten nach aussen als Max Pechstein Urheberrechtsgemeinschaft auf.

[3] Der Kläger erwarb die streitgegenständlichen Bilder im Jahr 1987 vom Kunsthandel ▪▪▪ (Anlage K1), wobei die Vertragsparteien davon ausgingen, es handle sich in beiden Fällen um Originalwerke von Hermann Max Pechstein.

[4] Die Beklagte führte am ▪▪▪2014 in ihrer Repräsentanz in der ▪▪▪ Berlin, einen Pechstein- Expertentag durch. Im Rahmen dieser Veranstaltung erhielt die Beklagte vom Kläger die streitgegenständlichen Bilder mit dem Auftrag, selbige zu versteigern. Wegen der Einzelheiten wird auf den Versteigerungsvertrag Bezug genommen (Anlage K2).

[5] Mit Schreiben vom 19. Mai 2014 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass es sich bei dem Bild „Strandszene mit Boot” um eine Fälschung handeln soll. Sie zeigte dem Kläger zwei Möglichkeiten auf, und zwar entweder sollte das Bild vernichtet werden, oder es werde zurückgegeben, das Blatt werde aber als Fälschung gekennzeichnet. Die Beklagte stützte sich dabei auf eine als „Gutachten” bezeichnetet Stellungnahme, die von dem Drittwiderkläger zu 2 gezeichnet war und im Auftrag der „Max Pechstein Urheberrechtsgemeinschaft” erstellt wurde. Der Drittwiderkläger zu 2 kam hierbei zu dem Ergebnis, dass die Tuschpinselzeichnung des Klägers eine Fälschung sei, dass das Original sich in Privatbesitz befinde und dass dem Fälscher eine näher bezeichnete Katalogabbildung als Fälschung gedient haben müsse. Auf die Anlagen K3 bis K5 wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

[6] Mit Schreiben vom 28. Mai 2014 verlangte der Kläger das eingelieferte Bild „Strandszene mit Boot” unverändert heraus und zweifelte das Gutachten des Drittwiderklägers zu 2 an. In der Folgezeit, zwischen den 28. Juli 2014 und den 19. Oktober 2014, forderte der Kläger die Beklagte mehrmals auf, den Standort der Bilder mitzuteilen und die Bilder unter Fristsetzung herauszugeben, unter anderem mit Anwaltsschreiben vom 2. Oktober 2014. Die Beklagte informierte den Kläger über die Einlagerung seiner Bilder in ihrer Repräsentanz in der ▪▪▪ M▪▪▪ und forderte ihn zur Abholung auf. Am 21.Oktober 2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie halte ihre Vorschläge zur weiteren Verfahrensweise hinsichtlich des von ihr als Fälschung erachteten Werks aufrecht und wies darauf hin, ihre Aktivitäten hinsichtlich des zweiten Werks zurückzustellen.

[7] Am 9. Februar 2015 kündigte die Beklagte an, dass sie die Kaltnadelradierung „Selbstbildnis” dem Kläger zurückgeben werde, nachdem die Urheberschaft Max Pechsteins durch den Drittwiderkläger zu 2 festgestellt worden sei. Am 13.März 2015 erhielt der Kläger dieses Werk zurück.

[8] Am 23. April 2015 ging dem Kläger ein Schreiben der Max Pechstein Urheberrechtsgemeinschaft zu, indem er von der Urhebergemeinschaft zur Zustimmung mit der Vernichtung des streitgegenständlichen Werks „Strandszene mit Boot” aufgefordert wurde.

[9] Das streitgegenständliche Werk „Strandszene mit Boot” wurde beim LKA Berlin asserviert.

[10] Der Kläger behauptet, auch das streitgegenständliche Bild „Strandszene mit Boot” stamme original von Max Pechstein.

[11] Die Klage ist der Beklagten am 14. Januar 2015 zugestellt worden. Der Kläger und die Beklagte haben die Klage in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Beklagte hat zunächst Widerklage erhoben und hiermit die Vernichtung des Werks „Strandszene mit Boot”, hilfsweise dessen Kenntlichmachung als Fälschung, weiter hilfsweise die Entfernung des Monogramms „HMP” sowie des Datums „1914″ begehrt. Die Drittwiderkläger haben erklärt, diese Widerklage übernehmen zu wollen und haben hierbei die Anträge teilweise geändert. Mit Schriftsatz vom 14. September 2016 haben sie die verbliebenen Drittwiderklageanträge als Haupt- und Hilfsantrag formuliert.

[12] Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn den Gebührenschaden in Höhe von 887,03 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

[13] Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

[14] Die Drittwiderkläger beantragen, den Kläger zu verurteilen, hinsichtlich des Objekts Tuschpinselzeichnung „Strandszene mit Boot”, rechts unten mit „HMP” monogrammiert und mit dem Zusatz „1914″ datiert, eingeliefert von dem Kläger bei der ▪▪▪GmbH & Co. KG am ▪▪▪2014, derzeit bei dem LKA Berlin asserviert mit der Nr. 34/15, in die Vernichtung einzuwilligen;
hilfsweise,
in die Überlassung zu Schulungszwecken an die Fälschungssammlung des LKA Berlin einzuwilligen.

[15] Der Kläger beantragt, die Drittwiderklage abzuweisen.

[16] Die Drittwiderkläger meinen, sie könnten als Rechtsnachfolger des Urhebers im Sinne der §§ 1922 Abs. 1 BGB, 28 Abs. 1 UrhG die Vernichtung des Werks „Strandszene mit Boot verlangen”. Der Drittwiderkläger zu 2 könne hierbei als Prozessstandschafter auftreten. Die Beklagte ist der Auffassung, hinsichtlich des Werks „Selbstbildnis” sei sie mangels Kündigung des Versteigerungsvertrags nicht zur Herausgabe verpflichtet gewesen.

Entscheidungsgründe

[17] Die zulässige Drittwiderklage ist begründet. Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.

I.
[18] Die Widerklage ist zulässig. Sie richtet sich gegen den Kläger und weist die in § 33 ZPO beschriebene Konnexität auf. Die Parteiänderung auf Seiten der Widerklage ist sachdienlich nach § 263 ZPO, da hierdurch ein neuer Rechtsstreit vermieden werden kann und sich der Prozessstoff nicht ausweitet. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die ursprüngliche Widerklage selbst zulässig war oder nicht. Es ist auch unerheblich, dass auf diese Weise eine so genannte isolierte Drittwiderklage entsteht.

[19] Die Parteien haben sich rügelos vor dem Landgericht Berlin eingelassen. Im Übrigen stünde
§ 33 Abs. 2 ZPO nicht entgegen, wenn § 104a UrhG für die Widerklage einen ausschliesslichen Gerichtsstand begründen würde, da der Kläger in Berlin wohnt.

[20] Der Drittwiderkläger zu 2 kann auch als Prozessstandschafter für die – neben der Drittwiderklägerin zu 1 – weiteren Mitglieder der Max Pechstein Urhebergemeinschaft klagen, so dass es nicht darauf ankommt, ob die beiden Drittwiderkläger als Mitglieder der Erbengemeinschaft nach Hermann Max Pechstein ohnehin nach § 2238 Abs. 1 BGB ohne die weiteren Miterben das zum Nachlass gehörende Urheberrecht gerichtlich durchsetzen könnten. Die Ermächtigung zur Prozessführung folgt zweifelsfrei aus der Anlage MPU 6. Dass das Urheberrecht nicht den Drittwiderklägern und den weiter im Passivrubrum der Drittwiderklage benannten Personen zustehen sollte, ist fernliegend und wird von dem Kläger auch nicht substantiiert behauptet, das Gericht erachtet dies als unstreitig. Als Mitglied der Erben- und Urhebergemeinschaft hat der Drittwiderkläger zu 2 auch ein rechtliches Interesse an der Prozessstandschaft; vorrangige Interessen des Klägers, die gegen ihre Zulässigkeit sprechen, sind nicht ersichtlich.

II.
[21] Die Drittwiderklage ist auch begründet.

[22] Mit der Drittwiderklage kann gemäss § 98 Abs. 1 UrhG die Zustimmung des Klägers zur Vernichtung des Werks „Selbstbildnis mit Boot” verlangt werden, da es sich hierbei um eine unberechtigt erstellte und öffentlich zum Verkauf angebotene Vervielfältigung des von Hermann Max Pechstein angefertigten Werks „Ausfahrendes Kanu I” handelt.

[22] 1. Es handelt sich bei der Rohrfederzeichnung „Ausfahrendes Kanu I” aus dem Jahr 1914 um ein geschütztes Werk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG. Das Urheberrecht besteht gemäss § 64 UrhG weiterhin, da seit dem Tod Hermann Max Pechsteins noch keine 70 Jahre vergangen sind.

[23] 2. Die Drittwiderkläger einschliesslich der weiteren im Wege der Prozessstandschaft vertretenen natürlichen Personen bilden unstreitig die ungeteilte Erbengemeinschaft, der die Urheberrechte nach dem Künstler Hermann Max Pechstein im Sinne der §§ 28, 30 UrhG, 1922 BGB zustehen. Dass die Urheberrechte an die im Passivrubrum der Drittwiderklage benannten sechs natürlichen Personen vererbt worden sind, bestreitet der Kläger mit Schriftsatz vom 14. September 2016 nicht. Im Übrigen haben die Drittwiderkläger die Erbfolge substantiiert dargelegt und es ist nicht ersichtlich, wem die Urheberrechte ansonsten zustehen sollten.

[24] 3. Die Drittwiderkläger und die weiteren Erben nach Hermann Max Pechstein haben einen Anspruch auf Vernichtung des streitgegenständlichen Werks „Strandszene mit Boot”. Dieser ist klageweise durch Verurteilung des Klägers zur Zustimmung zur Vernichtung durchzusetzen (siehe Weidert / Molle in Ensthaler / Weidert, Handbuch Urheberrecht und Internet, 2. Auflage, Rnd. 315). Das streitgegenständliche Bild ist unecht, da es nicht vom Künstler Hermann Max Pechstein stammt, zugleich aber so gestaltet und monogrammiert worden ist, damit es im Rechtsverkehr als echt erscheint. Es stellt sich als eine Vervielfältigung des Werks „Ausfahrendes Kanu I” aus dem Jahr 1914 im Sinne von § 16 Abs. 1 UrhG dar. Durch die Einlieferung bei der Beklagten zur Versteigerung hat der Kläger in das den Erben nach Hermann Max Pechstein zustehende Verbreitungsrecht nach § 17 Abs. 1 UrhG eingegriffe, ist also Verletzer im Sinne von § 98 UrhG. Dies verletzt die Urheberrechte nach Hermann Max Pechstein, die von den Drittwiderklägern – teilweise in Prozessstandschaft – geltend gemacht werden können.

[25] a) Dass das Bild unecht ist, haben die Drittwiderkläger schlüssig behauptet, der Kläger hat dies bereits nicht erheblich bestritten. Aus der Untersuchung des Landeskriminalamts Berlin vom 28. Mai 2015 (vorgelegt als Anlage MPU 8) ergibt sich zweifelsfrei, dass sich auf der streitgegenständlichen Tuschfederzeichnung das als Weisspigment gebräuchliche Titanweiss Rutil befindet, welches erst Ende der 1930er Jahre auf dem Markt eingeführt worden ist. Es ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht konkret behauptet, dass die auf dem streitgegenständlichen Werk vorhandenen und teilweise mit schwarzer Farbe überlagerten Ablagerungen von Weisspigment erst nachträglich eingebettet worden sein sollen. Wurden sie aber bei der Anfertigung des Werks verwendet, ist auszuschliessen, dass das mit der Jahreszahl 1914 versehene Werk „Strandszene mit Boot” in diesem Jahr angefertigt worden ist. Dann liegt es aber nahe, dass es sich bei dem Werk um eine Fälschung handelt. Es ist in der Kunstgeschichte gerichtsbekannt nicht bekannt, wird vom Kläger nicht substantiiert behauptet und von den überzeugenden Ausführungen der Drittwiderkläger widerlegt, dass der Künstler Max Pechstein, der den Palau-Zyklus während seines viermonatigen Aufenthalts in der Südsee 1914 um den Ausbruch des Ersten Weltkriegs angefertigt hat, nachträglich Werke verfasst hat, die er dieser früheren Schaffensperiode zuordnen wollte. Es ist nicht zu verkennen, dass es sich bei der Anlage K5 – die zu einer Zeit entstand, als der Drittwiderkläger zu 2 noch nicht Prozesspartei war – um eine Begutachtung aus der Feder des Drittwiderklägers zu 2 handelt. Diese hat aber nicht zur Überzeugungsbildung des Gerichts geführt, da sie sich mit den Gründen, welche für eine Fälschung sprechen, nicht näher auseinandergesetzt hat. Die Drittwiderkläger haben sodann aber schriftsätzlich ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen sie von einer Fälschung ausgehen und haben dies insbesondere anhand der Auswahl des Motivs, des Bildaufbaus nebst seiner Proportionen, der abgebildeten Personen, Gegenstände und Landschaft, der Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu dem Originalwerk „Ausfahrendes Kanu I”, der Strichführung und dem verwendeten Zeichenstift (Tuschpinsel anstelle einer Rohr-oder Tuschfeder) dargelegt. Der Kläger hat sich mit diesem Parteivortrag nicht näher auseinandergesetzt und hat dem insoweit besonders qualifizierten Parteivortrag keine Anhaltspunkte entgegengesetzt, die für die Echtheit des streitgegenständlichen Werks sprechen. Auch wenn es sich bei ihm um einen Laien handelt, hätte eine Auseinandersetzung mit dem Parteivortrag der Drittwiderklage erwartet werden dürfen. Jedenfalls im Zusammenhang mit dem Untersuchungsergebnis des Landeskriminalamts Berlin steht für das Gericht im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO zweifelsfrei fest, dass es sich bei der streitgegenständlichen Tuschfederzeichnung um eine Fälschung handelt, ohne dass es insoweit einer Beweisaufnahme bedarf. Es sind zudem keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, weswegen der Drittwiderkläger zu 2 ein unwahres Gutachten erstellt haben soll.

[26] b) Es handelt sich bei der „Strandszene mit Boot” um eine Vervielfältigung im Sinne von § 16 Abs. 1 UrhG und nicht um ein Original gemäss § 3 UrhG, welches dem Vernichtungsanspruch des § 98 UrhG nicht unterfallen würde. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob das streitgegenständliche Werk und das Original „Ausfahrendes Kanu I” die gleichen Grössenverhältnisse haben (in diesem Sinne Loewenheim in Stricker / Loewenheim, Urheberrecht, 4. Auflage, § 3 Rnd. 33; § 16 Rnd. 8). Eine Vervielfältigung ist jede körperliche Festlegung des Werks, die geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Weise unmittelbar oder mittelbar wahrnehmbar zu machen, wobei die Art des Materials oder des Herstellungsverfahrens nicht entscheidend ist (LG Düsseldorf, Urteil vom 07.10.2012 – 12 O 473/08). Nicht nur die identische Werkwiedergabe stellt eine Vervielfältigung dar, sondern auch nahezu identische Vervielfältigungen (BGH GRUR 1988, 533, 535), auch bei Veränderung der Grössenordnung (BGH GRUR 1966, 503). Auch nachgemalte Originale stellen eine Vervielfältigung dar (LG Düsseldorf, aaO; Loewenheim, aaO, § 16 Rnd. 9). Es kommt hierbei nicht darauf an, ob mit der Vervielfältigung der Eindruck erweckt werden soll, es handle sich um das – im Besitz der Familie Pechstein befindliche und mehrfach ausgestellte Original „Ausfahrendes Kanu I” -, vielmehr ist ausreichend, dass es durch die Art seiner Gestaltung aus einem bestimmten Oeuvre des Künstlers erscheint, hier die anlässlich des Aufenthalts Max Pechsteins in Palau im Jahre 1914 angefertigten und teilweise während des Ersten Weltkriegs vernichteten Werke. Auch die Übernahme der unverwechselbaren Eigenschaften eines Kunstwerks – wie Motiv, Strichführung, Darstellungsform – nimmt am Vervielfältigungsschutz teil (siehe auch BGH, Urteil vom 11.03.1993 – I ZR 264/91, „Asterix-Persiflagen”). Dies umso mehr, wenn hierdurch nicht nur eine Anlehnung an das Urheberrecht eines Künstlers erfolgt – in dem angesprochenen „Asterix-Persiflagen” Urteil war eindeutig erkennbar, dass die Zeichnungen nicht von den Schöpfern des Asterix-Comics stammen -, sondern der fälschliche Eindruck erweckt wird, es handle sich bei der Vervielfältigung um ein Originalwerk aus Künstlerhand.

[27] Es ist ersichtlich, dass das Hauptmotiv des Künstlers Max Pechstein nahezu identisch übernommen worden ist. Die Original Rohrfederzeichnung und das streitgegenständliche Werk sehen sich ausweislich der Anlage K5 sehr ähnlich. Mit der Widerklage wird zurecht darauf hingewiesen, dass Vorlage für die Fälschung die auf der Anlage K5 näher bezeichnete Katalogabbildung gewesen sein kann.
[28] Das streitgegenständliche mit der Jahreszahl 1914 versehene Bild „Strandszene mit Boot” stellt daher eine Vervielfältigung des Originalwerks „Ausfahrendes Kanu I” dar, welches der Künstler Hermann Max Pechstein 1914 als Rohrfederzeichnung auf Palau angefertigt hat. Jedenfalls aber würde es sich um eine unfreie Bearbeitung im Sinne des § 23 Abs. 1 UrhG handeln, welche aufgrund ihrer Einlieferung bei der Beklagten zum Verkauf ebenfalls eine Urheberrechtsverletzung darstellt. Eine freie Bearbeitung im Sinne des § 24 UrhG liegt wegen der Gestaltung des streitgegenständlichen Bildes und der Absicht, es als aus der Hand Max Pechsteins scheinen zu lassen, eindeutig nicht vor.

[29] 4. Es kommt nicht darauf an, dass der Kläger bei Erwerb und der viele Jahre später erfolgten Einlieferung des streitgegenständlichen Werks gutgläubig war, denn der Beseitigungsanspruch nach § 98 Abs. 1 UrhG setzt als Folgenbeseitigungsanspruch kein Verschulden des Verletzers eines Urheberrechts voraus (Wild in Schricker / Loewenheim, Urheberrecht, 4. Auflage, § 98 Rnd. 4).

[30] 5. Die begehrte Vernichtung ist auch nicht unverhältnismässig im Sinne von § 98 Abs. 4 UrhG. Es ist nicht ersichtlich, dass die Entfernung des Monogramms oder die dauerhafte Kennzeichnung des Werks als Fälschung eine gegenüber der Vernichtung taugliche und mildere Massnahme im Sinne des § 98 Abs. 4 UrhG (bzw. § 98 Abs. 3 UrhG a.F.) ist.

[31] Das Gesetz selbst sieht in § 98 Abs. 1 UrhG als Rechtsfolge des Urheberrechtsverstosses die Vernichtung der im Eigentum des Verletzers befindlichen rechtswidrig verbreiteten Vervielfältigungsstücke vor. Es handelt sich bei dem Anspruch auf Vernichtung also um den gesetzlichen Regelfall, durchaus mit generalpräventivem Charakter, so dass über das zur Folgenbeseitigung Nötige hinausgegangen werden kann (Bohne in Wandtke / Bullinger, Urheberrecht, 2002, § 98 Rnd. 23; Weidert / Molle, aaO, Rnd. 312; Rachow in Limper / Musiol, Handbuch des Fachanwalts Urheber- und Medienrecht, 2011, Rnd. 177). Nach § 98 Abs. 4 UrhG gilt nur im Einzelfall etwas anderes, wenn sich diese Massnahme als unverhältnismässg darstellen würde. Der Kläger, dem die Darlegungslast hierfür obliegt (Wild, aaO, Rnd. 20; Bohne, aaO; Lütje in Möhring-Nicolini, UrhG, 2. Auflage, § 98 Rnd. 33; Weidert / Molle, aaO, Rnd. 312) hat nicht dargelegt, dass die Vernichtung der Fälschung unverhältnismässig wäre; dies ist auch nicht erkennbar. Wenn er darauf hinweist, nichts spreche dagegen, dass er das Werk – von dessen Echtheit er bis zuletzt ausgeht – im
Privatbesitz behält, weist dies nicht auf einen Einzelfall hin, vielmehr wäre dies der Regelfall. Das Gericht berücksichtigt, dass der Kläger das Bild über 25 Jahre im Privatbesitz hielt und sich erst dann zum Verkauf entschlossen hat. Es ist aber weder von dem Kläger vorgebracht noch sonst wie ersichtlich, dass eine dauerhafte Kennzeichnung als Fälschung möglich ist. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass trotz einer Entfernung des auf Max Pechstein als Urheber hinweisenden Monogramms eine Täuschung des Rechtsverkehrs sicher verhindert werden kann, sofern das streitgegenständliche Bild zukünftig noch einmal auf dem Markt feilgeboten werden würde. Es ist auch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass es neben das Original tritt und im ersten Augenblick nicht mehr von diesem unterschieden werden kann, wofür auch dessen Verkauf an den Kläger als echt im Kunsthandel spricht. Aus letzterem Grund erachtet auch das Hanseatische OLG Hamburg (ZuM 1998, 938, 942; dem folgend Bohne, aaO, Rnd. 23; Rachow, aaO, Rnd. 177) eine Kennzeichnung eines gefälschten Kunstwerks als untauglich.

[32] Dem steht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in dem so genannten Nolde-Urteil (Urteil vom 08.06.1989 – I ZR 135/87) nicht entgegen, in welchem die Entfernung einer unechten Signatur Emil Noldes als hinreichende Massnahme angesehen wurde, um das (postmortale) Künstlerpersönlichkeitsrecht zu wahren. Denn in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es anders als hier und in der so genannten Immendorff- Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf (Urteil vom 07.10.2012 – 12 O 473/08) nicht um eine Vervielfältigung eines vorhandenen Originalwerks im Sinne von § 16 UrhG (vorliegend „Ausfahrendes Kanu I”, in der Immendorff-Entscheidung „Ready-Made de l´Histoire dans Café de Flore”), sondern um die Anfertigung zweier Aquarelle, die nur allgemein der Stilrichtung des Malers Emil Nolde entsprach. § 98 Abs. 1 UrhG stellt hier somit eine speziellere Regelung dar.

III.
[33] Die Klage ist nur teilweise begründet.

[34] 1. Der Kläger kann von der Beklagten bereits dem Grunde nach keinen Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1, 286 BGB für ihm entstandene vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen, soweit er diesen Anspruch auf die Nichtherausgabe des Werks „Strandszene mit Boot” stützt. Denn zum Zeitpunkt der anwaltlichen Tätigkeit befand sich die Beklagte nicht in Verzug mit der Herausgabe, da sie nicht mehr im Besitz des Werks war. Diesbezüglich wird auf die nachfolgenden Ausführungen in der Kostenentscheidung Bezug genommen.

[35] 2. Hinsichtlich des Werks „Selbstbildnis” besteht der geltend gemachte Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 286 BGB aus einem Gegenstandswert von 600,- Euro, was dem aus der Anlage K2 ersichtlichen Schätzpreis entspricht. Der Kläger kann daher 147,56 Euro verlangen. Wie nachfolgend näher ausgeführt wird, war die Beklagte verpflichtet, dieses Kunstwerk an den Kläger herauszugeben, womit sie sich bei Tätigwerden der Prozessbevollmächtigten den Klägers in Verzug befand.

IV.
[36] 1. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92 Abs. 2, 91a ZPO.

[37] a) Bei der Bildung der Kostenquote ist neben §§ 4 ZPO, 48 Abs. 1 GKG zu berücksichtigen, dass hinsichtlich des Werts der Gemälde von den aus der Anlage K2 ersichtlichen Schätzpreisen von bis zu 6.000,- Euro („Strandszene mit Boot”) bzw. 600,- Euro („Selbstbildnis”) auszugehen ist. Hierbei spielt es keine Rolle, dass es sich bei dem Werk „Strandszene mit Boot” um eine Fälschung handelt, weil die Parteien ja gerade um diese Frage gestritten haben. Hätte es sich bei dem Kunstwerk um ein Original gehandelt, so ist nicht ersichtlich, dass der von der Beklagten angenommene Schätzpreis nicht dem tatsächlichen Wert entsprochen hätte. Im Hinblick auf die Verteilung der Gerichtskosten und der aussergerichtlichen Kosten war wegen des Betroffenseins sämtlicher Prozessrechtsverhältnisse ein fiktiver Streitwert von 12.600,- Euro zu bilden.

[38] b) Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend teilweise in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war über die auf diesen Teil der Klage entfallenden Kosten des Rechtsstreits gemäss § 91a ZPO auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dies führt dazu, dass die Beklagte die Kosten hinsichtlich des Werks „Selbstbildnis” zu tragen hat. Sie wäre nämlich ohne die Erledigungserklärung in der Hauptsache unterlegen gewesen. Dem Kläger stand ein Herausgabeanspruch hinsichtlich der unstreitig von Hermann Max Pechstein angefertigten Kaltnadelradierung „Selbstbildnis” gegen die Beklagte jedenfalls aus § 985 BGB zu. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, sie habe aufgrund des Versteigerungsvertrags auch noch dann berechtigten Besitz an dem Werk im Sinne des § 986 BGB gehabt, als der Kläger das Kunstwerk mehrfach herausgefordert hat. Sie hat dem Kläger gegenüber erklärt, sie werde das Werk zunächst nicht versteigern, obwohl sich der Fälschungsverdacht nur gegen das weitere eingelieferte Werk gerichtet hat. Zwar mag die Beklagte grundsätzlich ein berechtigtes Interesse gehabt haben, vor einer Versteigerung einem Verdacht nachzugehen, ein eingeliefertes Bild sei unecht. Es ist aber nicht ersichtlich, dass sie vertraglich berechtigt ist, zudem alle Aktivitäten auch hinsichtlich der weiter eingelieferten Kunstwerke einzustellen, wie sie dies mit Schreiben vom 21. Oktober 2014 (Anlage K12) mitgeteilt hat. Zugleich hatte sie den Kläger bereits am 1. August 2014 (Anlage K8) zur Abholung des Werks aufgefordert. Der Kläger war berechtigt, den Einlieferungs- und Versteigerungsvertrag vor diesem Hintergrund nach Punkt 9.2 der Vertragsbedingungen aus wichtigem Grund zu kündigen und musste nicht das Untersuchungsergebnis abwarten. Denn die Beklagte hatte hinreichend deutlich gemacht, dass sie ihren Pflichten aus dem Versteigerungsvertrag einstweilen nicht nachkommen wird. Das Herausgabeverlangen des Klägers (Anlage K7) kann daher nur als Kündigung des Versteigerungsvertrags verstanden werden. Die Beklagte konnte die Erklärung nicht so verstehen, dass der Kläger zwar die Bilder herausverlangt, gleichwohl aber an dem Versteigerungsvertrag festhalten wollte, was ja gerade eine Verpflichtung zur Überlassung der Kunstwerke an die Beklagte bedeuten würde.

[39] c) Hinsichtlich des Bildes „Strandszene mit Boot” sind die anteiligen Kosten dagegen gemäss § 91a ZPO dem Kläger aufzuerlegen. Zwischen den Parteien blieb streitig, ob das Werk bei Eintritt der Rechtshängigkeit bereits beim LKA Berlin asserviert war oder nicht. Die Beklagte hat dies im Rahmen der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast – sie war ja zunächst unstreitig Besitzerin – erheblich behauptet. Bereits aus der Anlage B1 / B9 wird deutlich, dass der Drittwiderbeklagte zu 2 am 13. Juni 2014 auf Anforderung (Anlage B8) und damit weit vor Klageerhebung im November 2014 gegenüber dem LKA Berlin die Übersendung des Werks zur weiteren Untersuchung eingeschickt hat. Der Kläger hat schon nicht schlüssig dargelegt, dass gleichwohl die Beklagte noch bei Eintritt der Rechtshängigkeit Besitzerin gewesen sein soll. Es wäre ihm unschwer möglich gewesen, sich hinsichtlich des genauen Zeitpunkts der Einlieferung bei der Polizei zu erkundigen. Darauf, ob die Beklagte ein Zurückbehaltungsrecht hätte geltend machen können, weil es sich bei dem Werk um eine Fälschung gehandelt hat, kommt es demnach nicht an.

[40] 2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt den §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO. Soweit der Kläger zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt worden ist, gilt § 894 ZPO, so dass keine Sicherheitsleistung festzusetzen war.

Quelle: https://www.berlin.de (BerlinOnline Stadtportal GmbH & Co. KG, Karl-Liebknecht-Strasse 29, 10178 Berlin)

Leitsätze, Format, Randnummern und Rechtschreibung: www.debier.de (debier-datenbank, RA Torsten Mahncke, Berlin)