Kritik an Politikern

Max Liebermann, Frau mit ZiegenMeinungsfreiheit erlaubt Solidarisieren mit umstrittenen Äusserung Dritter. Ob das Zitieren eines Wortes aus einer längeren Äusserung des Dritten (hier: “Ziegenficker”) von der Meinungsäusserungsfreiheit gedeckt ist, bestimmt sich nach dem Sinn, den das Zitat im Gesamtzusammenhang mit der übrigen Äusserung des Zitierenden hat.

LG Köln, Beschluss  vom 10.05.2016  – 28 O 126/16 –
Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 GG
§§ 823, 1004 BGB
§§ 103, 185 ff. StGB

Leitsätze (tm.)

1. Die Auslotung der Grenzen zwischen der Meinungsfreiheit und Satire einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht andererseits im öffentlichen Meinungskampf, betreffen die Grundfesten der Kommunikationsgrundrechte und damit der Demokratie. Für deren Funktionieren sind die grundrechtlich geschützten Kommunikationsfreiheiten elementar – einschliesslich der Freiheit, (satirische) Kritik an Politikern zu üben.
2. Die Meinungsfreiheit umfasst die Freiheit, in einem kontrovers geführten Meinungskampf um die Zulässigkeit einer Äusserung eines Dritten, sich mit diesem öffentlich zu solidarisieren und die umstrittenen Äusserungen als zulässig zu bewerten bzw. das Geschehene gut zu heissen. Auf die Rechtmässigkeit der ursprünglichen Äusserungen kommt es dabei nicht an.
3. Ein Anspruch auf Unterlassung der Äusserungen eines Dritten kommt nicht in Betracht, wenn diese nicht wiederholt werden, sondern nur als allgemein bekannt auf sie Bezug genommen wird. Es fehlt in diesem Fall an einem sich zu Eigen machen der fremden Äusserung.
4. Allein durch das Setzen eines Links zu einer im Internet abrufbaren fremden Äusserung eines Dritten wird eine Haftung für diese Äusserung noch nicht begründet.
5. Ob das Zitieren eines Wortes aus einer längeren Äusserung eines Dritten (hier: “Ziegenficker”) von der Meinungsäusserungsfreiheit gedeckt ist, bestimmt sich nach dem Sinn, den das Zitat nach dem Verständnis eines verständigen und unvoreingenommenen Durchschnittspublikums im Gesamtzusammenhang mit der übrigen Äusserung des Zitierenden hat. Das Zitat darf dabei nicht aus dem Kontext herausgelöst und rein isolierten beurteilt werden.

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
III. Der Verfahrenswert wird auf 50.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

[1] Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet.

[2] Der Verfügungsanspruch (§§ 935, 940 ZPO) des Antragstellers ist hinsichtlich des Haupt- und Hilfsantrages zu verneinen.

I.
[3] Der Antragsteller hat gegen den Antragsgegner keinen Unterlassungsanspruch gemäss den §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG bzw. gemäss den §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 103, 185 ff. StGB bezüglich der in dem Hauptantrag genannten Äusserung(en). Auf die Rechtmässigkeit oder Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Äusserungen von C kommt es dabei nicht an.

[4] Die beanstandete Äusserung „Ich möchte mich, Herr C, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschliessen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen“ ist durch die Meinungsfreiheit des Antragsgegners gemäss Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Die Meinungsfreiheit umfasst als individuelles Freiheitsrecht auch und insbesondere die Freiheit, in einem kontrovers geführten Meinungskampf um die Zulässigkeit einer Äusserung eines Dritten – wie Herrn Cs Text – sich dem Dritten öffentlich solidarisch zur Seite zu stellen und die umstrittenen Äusserungen des Dritten als zulässig zu erachten bzw. das Geschehene gutzuheissen.

[5] Derzeit wird über die Frage, ob der Text von Herrn C eine zulässige Meinungsäusserung (Art. 5 Abs. 1 GG) darstellt und/oder der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) unterfällt, eine öffentliche Debatte geführt. Gegenstand dieser Debatte sind die grundrechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit und Satire im Verhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Antragstellers; sie betrifft die Grundfesten der Kommunikationsgrundrechte und damit auch der Demokratie, für deren Funktionsfähigkeit die durch Art. 5 GG geschützten Freiheiten – einschliesslich der (satirischen) Kritik an Politikern – elementar sind. Daher müssen Politiker wie der Antragsteller im Rahmen der öffentlichen Auseinandersetzung mit ihrer Person und Verhaltensweise auch scharfe Kritik an ihrer Position hinnehmen.

[6] Die streitgegenständliche Äusserung ist ein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung in dieser Debatte, indem sie von der äusserungsrechtlichen Zulässigkeit des Gedichts von Herrn C ausgeht und dieses gutheisst. Der Antragsteller hat als Staatsoberhaupt der Türkei zu dieser Debatte Anlass gegeben, indem er wegen des Gedichts von Herrn C ein Strafverlangen gemäss §§ 103, 104a StGB vorlegte bzw. vorlegen liess. Er muss daher auch scharfe Kritik an seiner Position hinnehmen. Die mit der Äusserung des Antragsgegners einhergehende Kritik an der Verhaltensweise des Antragsstellers, nachdem Herr C sein Gedicht „Schmähkritik“ verlesen hatte, ist ebenfalls von der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsäusserungsfreiheit gedeckt, da sie sachliche Bezugspunkte zu der derzeit geführten Debatte aufweist.

[7] Soweit der Antragsteller sich gegen das ausdrücklich so formulierte „Zu-Eigen-Machen“ der Äusserungen des Herrn C durch den Antragsgegner wendet, ist dem entsprechend von einer Zulässigkeit der hierin liegenden Meinungsäusserung auszugehen.

[8] Ein Unterlassungsanspruch kommt auch nicht mit der Begründung in Betracht, der Antragsgegner verbreite rechtswidrige Äusserungen eines Dritten, die er sich zu Eigen mache. Denn es fehlt bereits an einer Verbreitung der betreffenden Äusserungen, die in der hier angegriffenen Berichterstattung nicht wiederholt, sondern nur – als allgemein bekannt – in Bezug genommen werden.

[9] Ein Unterlassungsanspruch in Bezug auf das Verbreiten von Drittäusserungen setzt voraus, dass der Äussernde sich diese zu Eigen macht, was bejaht werden kann, wenn die fremde Äusserung so in den eigenen Gedankengang eingefügt wird, dass die gesamte Äusserung als eigene erscheint oder dargestellt wird. Der Anspruch setzt aber – gewissermassen vorgelagert – auch voraus, dass die Fremdäusserung selbst verbreitet oder veröffentlicht wird. Dies war hier nicht der Fall. Die blosse Bezugnahme ist für ein Zu-Eigen-Machen in dem oben genannten Sinne nicht ausreichend, da die eigentlich zu unterlassende Aussage nicht wiedergegeben wird. Dass der Antragsgegner sich die Äusserung ausdrücklich zu Eigen machen will, ist unerheblich, so lange es an einer vergleichbaren Veröffentlichung bzw. Verbreitung fehlt.

[10] Der Antragsgegner hat das Gedicht von Herrn C auch nicht dadurch verbreitet, dass in einem der streitgegenständlichen Äusserung vorhergehenden Absatz des Artikels „Solidarität mit Herrn C!“ ein zweiter Artikel mit dem Titel „ZDF löscht Cs F-Satire aus Mediathek“ verlinkt wird, in dem sich wiederum ein Link zu einem dritten Artikel mit dem Titel „ZDF löscht F-Satire“ befindet, in dem letztlich ein Video abgerufen werden kann, das die Sequenz aus der Sendung von Herrn C, in der er sein Gedicht „Schmähkritik“ verliest, zeigt. Des Weiteren ist zu berücksichtigten, dass durch das einfache Setzen eines Links eine Haftung noch nicht begründet wird (BGH, GRUR 2016, 209, 210). Vor dem Hintergrund des auf einfachste Weise zu bewerkstelligenden Auffindens des Gedichts über Suchmaschinen ist in dieser mehrfach indirekten Verlinkung der Ursprungsäusserung keine relevante Verbreitungshandlung zu erkennen, die dem Durchschnittsrezipienten die Auffindung der Äusserung in nennenswerter Weise erleichtern würde.

[11] Ferner wird in dem Absatz des hier streitgegenständlichen Artikels, in dem sich der relevante Link („die Aufregung über Ihren Text“) befindet, für den Durchschnittsleser erkennbar die Reaktion des ZDF nach der Ausstrahlung der Fernsehsendung, in welcher das Gedicht verlesen wurde, thematisiert. Der unmittelbar verlinkte Artikel „ZDF löscht Cs F-Satire aus Mediathek“ setzt sich im Wesentlichen damit auseinander, dass das ZDF diese Fernsehsendung aus der Mediathek gelöscht hat und die Wiederholung der Sendung ohne das Gedicht gezeigt werden soll. Für Durchschnittsleser stellen sich Inhalte, die erst über einen weiteren Link in dem zweiten Artikel zu dem dritten Artikel „ZDF löscht F-Satire“ gezeigt werden, nicht als eigene Äusserungen des Antragsgegners dar; zumal auch in dem zweiten Artikel der dritte Artikel nur mit dem Hinweis verlinkt wird, dass dort aus der ersten Strophe des Gedichts zitiert wird und mithin nicht der gesamte Text / Wortlaut des Gedichts in Bezug genommen wird.

[12] Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Link, der unmittelbar in dem auf die streitgegenständliche Äusserung folgenden Satz, d.h. noch in demselben Absatz, gesetzt wurde, zu einem Artikel führt, in dem das Gedicht nur in geschwärzter Form ohne die kritisierten Formulierungen gezeigt wird.

[13] Bereits aus diesem Grund ist der vorliegende Fall auch nicht, wie der Antragsteller meint, mit dem Fall vergleichbar, dass ein Facebook-Nutzer den „Gefällt mir-Button“ betätigt. Die Mitteilung des Nutzers „Gefällt mir“ wird auf der Facebook-Seite des sich ursprünglich Äussernden im unmittelbarem Anschluss an die Äusserung, zu welcher die Zustimmung erklärt wird, angezeigt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Mitteilung, dass der Antragsgegner sich mit Herrn C solidarisiert, ist aus den bereits genannten Gründen als Meinungsäusserung zulässig.

II.
[14] Der Antragsteller hat gegen die Antragsgegnerin keinen Unterlassungsanspruch gemäss den §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG bzw. gemäss den §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 103, 185 ff. StGB bezüglich der in dem Hilfsantrag genannten Äusserungen.

[15] Aufgrund der Wiedergabe des Wortes „Ziegenficker“ in dem Artikel „Solidarität mit C!“ ist nicht davon auszugehen, dass sich der Antragsgegner einen Satzteil des Gedichts von Herrn C isoliert zu eigen gemacht hat, sondern nur über das Gedicht von Herrn C – nicht wörtlich – berichtet hat.

[16] Massgeblich für das Verständnis der Behauptung ist dabei weder die subjektive Sicht des sich Äussernden noch das subjektive Verständnis der von der Äusserung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines verständigen und unvoreingenommenen und Durchschnittspublikums hat (BVerfG, NJW 2006, 207, 208). Sie darf zudem nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Dies gilt auch für die Frage, ob sich der Äussernde eine Fremdäusserung zu Eigen machen will.

[17] In dem Gedicht von Herrn C heisst es wörtlich: „Am liebsten mag er Ziegen ficken und Minderheiten unterdrücken“. Der Antragsgegner hat den ersten Teil dieses Satzes in seinem Artikel / offenen Brief zusammenfassend durch das Wort „Ziegenficker“ wiedergegeben. Der Kontext in dem Artikel / offenen Brief verdeutlicht den referierenden und beispielhaften Charakter dieser Wiedergabe. So heisst es:

[18] „Vor allem wenn es um die Provokation religiöser, genauer: christlicher Gefühle geht, geht in Deutschland alles. Mich erinnert Ihr Auftritt im Zweiten Deutschen Fernsehen ein wenig an die vermutlich berühmteste Arbeit des Künstlers Martin Kippenberger. […]

[19] Ähnlich, wenn die ‚Titanic‘ den Papst in einem Ganzkörper-Kondom oder mit einem Urinfleck auf dem Gewand zeigt. Sobald es gegen die katholische Kriche geht, ist das Lachen des Justemilieu programmiert. Es kann gar nicht respektlos und verletzend genug sein.

[20] Sie, lieber Herr C, mussten nun lernen, dass andere Massstäbe gelten, wenn es um türkische Spitzenpolitiker geht. In Deutschland brach eine Art Staatskrise aus, nur weil Sie Herrn F als ‚Ziegenficker‘ bezeichnet haben. Apropos Ficken. Wenn das ZDF – seinem gebührenfinanzierten Bildungsauftrag feinsinnig verpflichtet – einen Hashtag ‚Fick dich. Bild Zeitung‘ ins Leben ruft und sich dazu die Domain ‚fickdichbildzeitung.com‘ sichert, die bis heute auf einen Spot des ZDF verlinkt, dann klopft sich die deutsche Intelligenz vor freudiger Erregung prustend auf die Schenkel.“

[21] Aus der objektiven Sicht eines Durchschnittslesers will der Antragsgegner in dieser Passage den Antragssteller nicht als „Ziegenficker“ bezeichnen, sondern er rechnet diese Äusserung erkennbar Herrn C zu und setzt sich mit diesem Wort nur auseinander, um beispielhaft eine Äusserung von Herrn C mit der beschriebenen Darstellung des Papstes sowie dem die Bildzeitung betreffenden „Hashtag“ und der entsprechenden Domain des ZDF zu vergleichen. Die Betrachtung, dass sich aus diesem Vergleich ergebe, dass für den Antragsteller andere Massstäbe gelten bzw. die gleichen Massstäbe zu gelten haben und die Äusserungen in dem Gedicht von Herrn C somit in Deutschland nicht verboten werden können, ist als sachbezogene Meinungsäusserung zulässig.

[22] Mit der im „P.S.“ des Artikels bzw. offenen Briefes enthaltene Äusserung, „Ich möchte mich, Herr C, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschliessen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen“, macht sich der Antragsgegner ebenfalls den Halbsatz des Gedichts „Am liebsten mag er Ziegen ficken […]“ nicht isoliert zu eigen, sondern nimmt auf das Gedicht als Ganzes, den Gesamtkontext, den Herrn C dazu veranlasste, das Gedicht zu verlesen (die Reaktion des Antragstellers auf das in der NDR-Sendung „extra 3“ wiedergegebene Lied), sowie den unmittelbaren Kontext als Herr C sein Gedicht verlas (z.B. die einleitenden Worte) Bezug.

[23] Der verständige und unvoreingenommene Durchschnittsleser erfasst den Inhalt dieser Aussage unter Berücksichtigung des (satirischen) Kontextes, den der Antragsgegner in seinem Artikel / offenen Brief einleitend unter der Überschrift „Kunst- und Satirefreiheit“ beschreibt. Für ihn ist es fernliegend, dass der Antragsgegner sich einzelne Wörter oder Satzteile aus dem Gedicht losgelöst von diesem (satirischen) Kontext zu eigen machen will. Das mehrere Absätze vor dem „P.S“ des Artikels / offenen Briefes referierte Wort „Ziegenficker“ wird beispielhaft verwendet und ermöglicht dem Antragsgegner nur die oben genannte Auseinandersetzung. Einen direkten Bezug zwischen diesem Wort und der im Postskriptum enthaltenen Aussage stellt der Antragsgegner nicht her. Auch aus der Formulierung „vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz“ geht für den Durchschnittsleser hervor, dass der Antragsgegner sich auf das Gedicht als Ganzes und den (Gesamt-)Kontext bezieht und keinen hiervon isolierten Bezug zu einem mehrere Absätze zuvor genannten Wort herstellen will, d.h. den Antragsteller nicht losgelöst hiervon als „Ziegenficker“ bezeichnen will.

III.
[24] Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Wertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 53 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.

Quelle: http://www.justiz.nrw.de/RB/nrwe2/index.php (Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Justizkommunikation, 40212 Düsseldorf)

Leitsätze, Format, Randnummern und Rechtschreibung: http://www.debier.de (debier-datenbank, RA Torsten Mahncke, Berlin)