Autotür Öffnen

Kfz-Halter haftet für den Schaden, den sein Beifahrer durch Öffnen der Autotür an einem daneben parkenden Auto verursacht. Der Halter des beschädigten Autos kann in einem solchen Fall direkt von der Haftpflichtversicherung des Halters des Autos, aus dem der Beifahrer ausgestiegen ist, seinen Schaden ersetzt verlangen.

LG Saarbrücken, Urteil vom 20.11.2015  – 13 S 117/15 –
§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG
§ 1 PflVG
§ 7 StVG

Leitsätze (tm.)

1. Die Haftung des Kfz-Halters für die mit dem Betrieb bzw. Gebrauch eines Fahrzeuges verursachten Sachschäden umfasst auch solche, die durch das Öffnen der Beifahrertür verursacht werden.
2. Ein solcher Sachschaden an dem Kfz des Halters, gegen den die Beifahrertür gestossen wird,  gilt für diesen als unabwendbar, wenn das Kfz ordnungsgemäss abgestellt worden ist. Für eine Haftungsabwägung, also eine verhältnismässige Haftung der beiden Halter der beteiligten Fahrzeuge ist dann kein Raum.

Gründe

I.
[1] Die Klägerin macht Schadensersatz aus einem Schadensfall geltend, der sich am 28.09.2014 in … ereignet hat.

[2] Die Klägerin hatte ihr Fahrzeug vor der Haustür ihres Anwesens geparkt. Beim Aussteigen aus dem Beklagtenfahrzeug stiess der Bruder des Fahrzeughalters und Versicherungsnehmers der Beklagten mit der Beifahrertür gegen das klägerische Fahrzeug.

[3] Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Sachschaden an ihrem Fahrzeug (817,69 € netto), Sachverständigenkosten (301,90 €) sowie eine Unkostenpauschale (30,- €), insgesamt 1.149,59 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten jeweils nebst Zinsen geltend gemacht.

[4] Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Sie ist der Auffassung, sie sei als Kfz- Haftpflichtversicherer für den Schadensfall von vorneherein nicht einstandspflichtig. Im Übrigen käme allenfalls eine Haftung für die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs im Umfang von 25% in Betracht.

[5] Das Amtsgericht hat der Klage – bis auf einen Teil der geltend gemachten Unkostenpauschale – stattgegeben. Zur Begründung hat die Erstrichterin ausgeführt, der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Direktanspruch zu, da sich der Unfall beim Betrieb des Fahrzeuges ereignet habe. Da das klägerische Fahrzeug ordnungsgemäss geparkt gewesen sei, komme eine Mithaftung der Beklagten nicht in Betracht.

[6] Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihren Antrag auf Klageabweisung unter Aufrechterhaltung ihrer Rechtsauffassung weiter verfolgt.

II.
[7] Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

[8] 1. Zu Recht ist das Erstgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte als Kfz-Haftpflichtversicherer des Beklagtenfahrzeugs für den Schaden der Klägerin einzustehen hat.

[9] a) Nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG in Verbindung mit § 1 PflVG deckt die Kfz-Haftpflichtversicherung den durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Schaden. Der „Gebrauch des Kraftfahrzeugs“ in diesem Sinne schliesst den „Betrieb“ des Kraftfahrzeuges im Sinne des § 7 StVG ein (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 1977 – IV ZR 59/76, VersR 1977, 418 f.; BGHZ 75, 45 ff.; 78, 52 ff.; Beschluss vom 8. April 2008 – VI ZR 229/07 – Schaden-Praxis 2008, 338; Urteil vom 31. Januar 2012 – VI ZR 43/11, VersR 2012, 734 ff.), wozu anerkanntermassen auch das Öffnen einer Tür beim Aussteigen aus einem Kraftfahrzeug gehört (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2009 – VI ZR 316/08, VersR 2009, 1641; OLG München, VersR 1966, 987; VersR 1996, 1036; KG, RuS 2011, 174; Greger/Zwickel, Haftung des Strassenverkehrs, 5. Aufl., § 3 Rn. 129, § 19 Rn. 11; Wussow/Fad, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kapitel 17 Rn. 86; zum Ein- und Aussteigen als Fahrzeuggebrauch vgl. nur Stiefel/Maier aaO AKB A.1.1 Rn. 26). Dass sich der Aussteigevorgang hier auf einer privaten Fläche stattgefunden hat, ändert hieran nichts (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 1994 – VI ZR 107/94, VersR 1995, 90; Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl., AKB A.1.1 Rn. 25).

[10] b) Anders als die Beklagte meint, muss sie auch für das Verhalten des Bruders ihres Versicherungsnehmers einstehen. Die Beklagte verkennt insoweit, dass der Klägerin ein Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG gegen den Fahrzeughalter selbst zusteht, dessen Risiko wiederum durch die Beklagte als Kfz-Haftpflichtversicherer gedeckt ist (vgl. AKB 2008 A.1.2).

[11] aa) Der Versicherungsnehmer der Beklagten hat als Kfz- Halter vorliegend für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäss § 7 Abs. 1 StVG einzustehen, weil der Schaden beim Betrieb des Beklagtenfahrzeugs entstanden ist und Umstände, die die Haftung des Halters ausschliessen könnten, nicht nachgewiesen sind. Insbesondere hat die Beklagte den Unabwendbarkeitsnachweis nach § 17 Abs. 3 StVG nicht erbracht. Der Umstand, dass vorliegend ein Fahrzeuginsasse, der weder Halter noch Fahrer des Fahrzeugs war, den Unfall durch das Öffnen der Beifahrertür verursacht hat, steht dem nicht entgegen. Dies gilt schon deshalb, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Idealfahrer das Beklagtenfahrzeug so abgestellt hätte, dass ein Aussteigen auf Beifahrerseite problemlos, mithin ohne jegliche Gefährdung des daneben stehenden klägerischen Fahrzeugs, möglich gewesen wäre. Insoweit bedarf es hier auch keiner Entscheidung, ob ein besonders sorgfältiger Kraftfahrer grundsätzlich verpflichtet ist, einen Insassen vor dem Aussteigen zu besonderer Vorsicht zu mahnen (so etwa OLG München, VersR 1996, 1036; AG Frankfurt/Oder, Zfs 2002, 66).

[12] bb) Entgegen der Auffassung der Berufung besteht auch kein Anlass für eine weitergehende Beschränkung der Halterhaftung nach § 7 Abs. 1 StVG unter teleologischen Gesichtspunkten. Denn das Risiko, das sich durch das (unvorsichtige) Türöffnen verwirklicht hat, ist typischer Bestandteil der von einem Kfz ausgehenden Betriebsgefahr und damit vom Schutzzweck der Gefährdungshaftung erfasst, unabhängig davon, ob das Öffnen der Tür durch den Halter, Fahrer oder einen sonstigen Insassen erfolgt. Der gesetzgeberische Zweck der Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG liegt nämlich nicht im Ausgleich für Verhaltensunrecht, sondern für Schäden aus den Gefahren – auch eines zulässigen – Kraftfahrzeugbetriebs (vgl. stellv. nur BGHZ 117, 337; Hentschel aaO § 7 StVG Rn. 1). Es ist deshalb weitgehend anerkannt, dass der Halter und dessen Kfz- Haftpflichtversicherer grundsätzlich auch für die Unfallschäden nach §§ 7 Abs. 1 StVG, § 115 VVG einzustehen haben, die ein Insasse des Fahrzeugs durch das Öffnen der Beifahrertür verursacht (vgl. OLG München, VersR 1966, 987; 1996, 1036; OLG Hamm, MDR 2000, 156 unter Gründe B.II.1.; KG, RuS 2011, 174; LG Nürnberg- Fürth, Schaden- Praxis 1992, 92; LG Hanau, Schaden- Praxis 1992, 92; AG Köln, VersR 1988, 1079; AG Frankfurt/Oder, Zfs 2002, 66; Wussow/Fad aaO Kap. 17 Rn. 86; Stiefel/Maier aaO AKB A.1.2 Rn. 15; Lemcke, RuS 2011, 176; vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 6. Oktober 2009 aaO; a.A. AG Frankfurt, Urteil vom 16. April 2014 – 31 C 1233/13 (16)).

[13] 2. Entgegen der Auffassung der Berufung findet vorliegend auch keine Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG statt. Denn die Klägerin trifft hier keine Haftung für die Unfallfolgen. Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob sich das klägerische Fahrzeug im Unfallzeitpunkt noch im Betrieb befand (vgl. hierzu Hentschel aaO § 7 StVG Rn. 8 m.w.N.). Denn jedenfalls war das Unfallereignis für die Klägerin nach § 17 Abs. 3 StVG unabwendbar, nachdem sie ihr Fahrzeug ordnungsgemäss vor ihrem Anwesen abgestellt hatte und keinerlei Umstände erkennbar sind, bei denen ein Idealfahrer anstelle der Klägerin den Unfall hätte vermeiden können. Auf die Frage, ob sich der Halter des Fahrzeugs, dessen Tür geöffnet worden ist, in einem Fall wie dem vorliegenden die einfache oder die – ggfl. durch ein Verschulden (§ 14 Abs. 1 StVO) – erhöhte Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zurechnen lassen muss, kommt es danach nicht an (vgl. hierzu OLG München, VersR 1996, 1036).

III.
[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

[15] Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

[16] Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Quelle: http://www.verkehrslexikon.de/ (Hans Giese, Alteveerstraat 9 D,NL-9401 GA Assen)

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