Auskunft vom Verfassungsschutz

Die Presse hat einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Dieser ergibt sich unmittelbar aus dem Grundgesetz und kann sich auf Gegenstände beziehen, die keine operativen Vorgänge im Funktionsbereich betreffen. So das Verwaltungsgericht Köln:

VG Köln,  Urteil vom 12.11.2015  – 6 K 5143/14 –
Art. 5 Abs. 1 S. 2, 73 Nr. 10 b GG
§ 106 Abs. 1 BBG

Leitsätze (tm.)

1. Zum presserechtlichen Auskunfstanspruch eines Journalisten gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz über ein Disziplinarverfahren, das gegen einen ehemaligen Referatsleiter mit dem Decknamen Lothar Lingen eingeleitet worden ist, der die Vernichtung von Akten im Zusammenhang mit der Terrorismusorganisation NSU angeordnete hatte.
2. Ein solcher Auskunftsanspruch ergibt sich unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, da der Bundesgesetzgeber seine ausschliessliche Gesetzgebungskompetenz über den Verfassungsschutz hinsichtlich des Annexes nicht ausgeübt hat, Voraussetzungen und Grenzen zu regeln, unter denen der Öffentlichkeit einschliesslich der Presse Informationen zu erteilen sind oder erteilt werden dürfen.
3. Aufgrund dieses verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs können Pressevertreter behördliche Auskünfte verlangen, soweit berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen dem nicht entgegenstehen.
4. Hinsichtlich des Bundesamtes für Verfassungsschutz können sich solche Auskunftsansprüche auf Gegenstände beziehen, die keine operative Vorgänge im Funktionsbereich der Behörde betreffen.

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu folgenden Fragen zu erteilen:

1. Wie ist der Sachstand des Disziplinarverfahrens in Sachen des Beamten mit dem Decknamen Lothar Lingen? Ist das Disziplinarverfahren abgeschlossen? Mit welchen Konsequenzen?
3. Welches Fehlverhalten wurde dem Mitarbeiter, gegen den im Zuge des Disziplinarverfahrens ermittelt wurde, genau vorgeworfen?
4. Wie genau sahen die Bemühungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz aus, das Fehlverhalten aufzuklären? Welchen Umfang und welche Dauer hatten die Aufklärungsbemühungen? Wie viele Personen wurden im Rahmen dieses Verfahrens befragt? Wie viele Seiten umfasst die Ermittlungsakte im Disziplinarverfahren?
6. Welche Einschätzungen über die mögliche Motivation der Aktenvernichtung durch den Mitarbeiter mit dem Decknamen Lothar Lingen wurden während der im Rahmen des Disziplinarverfahrens durchgeführten Vernehmungen von anderen Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz geäussert?
7. Wurde ermittelt, ob der Mitarbeiter „Lothar Lingen“ mit den von ihm vernichteten Vorgängen in den Jahren zuvor selbst dienstlich befasst gewesen ist?
8. Welche Ergebnisse haben die Ermittlungen im Rahmen des Disziplinarverfahrens hinsichtlich der Frage ergeben, ob der betreffende Mitarbeiter die Aktenvernichtungen in eigener Zuständigkeit und ohne Rücksprache mit anderen Mitarbeitern, insbesondere ohne Information seines direkten Vorgesetzten durchgeführt hat?
9. Inwieweit wurde zur Aufklärung des Fehlverhaltens auch ausserhalb des Bundesamtes für Verfassungsschutz ermittelt? Wurden beispielsweise aussenstehende Zeugen vernommen?

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4.

Tatbestand

[1] Die Beteiligten streiten um einen presserechtlichen Auskunftsanspruch.

[2] Der Kläger ist Journalist. Mit Schreiben vom 18.06.2014 begehrte er Auskunft von der Beklagten zu den im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden der Terrorismusorganisation NSU im Bundesamt für Verfassungsschutz erfolgten Aktenvernichtungen, insbesondere zu dem Disziplinarverfahren, das gegen den ehemaligen Referatsleiter, der die Vernichtung angeordnet haben solle, eingeleitet worden sei.

[3] Mit einer E-Mail vom 03.07.2014 teilte die Beklagte mit, dass Personalakten gemäss  § 106 Abs. 1 BBG vertraulich zu behandeln und vor unbefugter Einsichtnahme zu schützen seien. Dies gelte auch dann, wenn das Disziplinarverfahren abgeschlossen sei, da die Vorgänge zunächst Bestandteil der Personalakte blieben und erst nach Fristablauf aus der Personalakte zu entfernen und zu vernichten seien (§ 16 BDG). Daher sei eine Auskunftserteilung an Journalisten über disziplinarrechtliche Vorgänge nicht zulässig.

[4] Mit Schreiben vom 14.07.2014 machte der Kläger geltend, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an den verlangten Informationen bestehe.

[5] Mit E-Mail vom 29.08.2014 teilte die Beklagte mit, dass sie aus den dargelegten Gründen keine Auskunft erteilen könne.

[6] Am 18.09.2014 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor: Es bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse an den verlangten Informationen. Dies zeige sich daran, dass der Vorgang sehr ausführlich von einem Untersuchungsausschuss des 17. Deutschen Bundestages untersucht worden sei. Der Mitarbeiter mit dem Decknamen Lothar Lingen habe vor dem Untersuchungsausschuss die Beantwortung von Fragen zu seiner Person und seinem Tätigwerden unter Hinweis auf das Disziplinarverfahren abgelehnt. Er, der Kläger, begehre die Information im Rahmen seiner auf eine Publikation gerichteten Recherchetätigkeit. Die Vorschriften der §§ 106 ff. BBG seien keine materiellen Geheimhaltungsvorschriften. Die Interessen des betroffenen Beamten seien hier nicht schutzwürdig. Auch bezüglich eines möglichen Fehlverhaltens habe der Beamte die Verantwortung zu tragen. Das vorgeworfene Verhalten sei der amtlichen Tätigkeit des Beamten zuzuordnen. Es habe bereits im Blickpunkt des öffentlichen Interesses gestanden, wie die Einrichtung des Untersuchungsausschusses zeige. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beamten sei nicht verletzt, da dieser nicht identifizierbar sei. Die begehrte Auskunft ziele lediglich auf abstrakte Informationen. Die Gefahr der Identifikation des betroffenen Beamten werde durch die Beantwortung der gestellten Fragen nicht gesteigert. Gerade im Hinblick auf den NSU-Prozess habe die Öffentlichkeit ein besonders grosses Informationsinteresse.

[7] Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft zu folgenden Fragen zu erteilen:

1. Wie ist der Sachstand des Disziplinarverfahrens in Sachen des Beamten mit dem Decknamen Lothar Lingen? Ist das Disziplinarverfahren abgeschlossen? Mit welchen Konsequenzen?

2. Welche Informationen zu dem Ablauf der erfolgten Aktenvernichtungen sowie zur Motivation des Mitarbeiters „Lothar Lingen“, die der Öffentlichkeit bisher nicht durch die Veröffentlichung des Abschlussberichtes des 2. Untersuchungsausschusses des Bundestags, Drs. 17/14600, Seiten 743 ff. bekannt sind, wurden im Zuge des Disziplinarverfahrens ermittelt?

3. Welches Fehlverhalten wurde dem Mitarbeiter, gegen den im Zuge des Disziplinarverfahrens ermittelt wurde, genau vorgeworfen?

4. Wie genau sahen die Bemühungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz aus, das Fehlverhalten aufzuklären? Welchen Umfang und welche Dauer hatten die Aufklärungsbemühungen? Wie viele Personen wurden im Rahmen dieses Verfahrens befragt? Wie viele Seiten umfasst die Ermittlungsakte im Disziplinarverfahren?

5. Wurden Erklärungen dafür gefunden, warum der Mitarbeiter einerseits von Vorgesetzten mit sehr guten Noten beurteilt wurde, andererseits aber gleichzeitig eine Anleitungs- und Kontrollbedürftigkeit durch Vorgesetzte bestand (der diese aber wohl nicht nachkamen und die sich ja schliesslich auch in dem schwerwiegenden Fehlverhalten des Mitarbeiters zeigte)? Wenn ja, welche Erklärungen wurden gefunden? Wann genau war der Mitarbeiter „Lothar Lingen“ wie von seinen Vorgesetzten bewertet worden? Wie waren die einstigen Positivbewertungen begründet worden?

6. Welche Einschätzungen über die mögliche Motivation der Aktenvernichtung durch den Mitarbeiter mit dem Decknamen Lothar Lingen wurden während der im Rahmen des Disziplinarverfahrens durchgeführten Vernehmungen von anderen Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz geäussert?

7. Wurde ermittelt, ob der Mitarbeiter „Lothar Lingen“ mit den von ihm vernichteten Vorgängen in den Jahren zuvor selbst dienstlich befasst gewesen ist? Falls ja, für welche Vorgänge trifft dies zu und wie sah die Befassung aus?

8. Welche Ergebnisse haben die Ermittlungen im Rahmen des Disziplinarverfahrens hinsichtlich der Frage ergeben, ob der betreffende Mitarbeiter die Aktenvernichtungen in eigener Zuständigkeit und ohne Rücksprache mit anderen Mitarbeitern, insbesondere ohne Information seines direkten Vorgesetzten durchgeführt hat?

9. Inwieweit wurde zur Aufklärung des Fehlverhaltens auch ausserhalb des Bundesamtes für Verfassungsschutz ermittelt? Wurden beispielsweise aussenstehende Zeugen vernommen?

[8] Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

[9] Sie trägt vor: Die besondere und sensible Aufgabenstellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz gebiete es, dies von vornherein aus dem Kreis der Anspruchsverpflichteten herauszunehmen. Darüber hinaus stünden dem Auskunftsbegehren Geheimhaltungsinteressen des Bundes entgegen. Die Vorgänge seien nach der für Bundesbehörden geltenden Verschlusssachenanweisung des Bundesministeriums des Innern förmlich als Verschlusssache eingestuft und entsprechend gekennzeichnet. Der Kläger begehre Auskünfte zu operativen Sachverhalten bzw. der Aufarbeitung von Vorgängen aus einem operativen Arbeitsbereich. Die Fragen könnten nicht isoliert, sondern nur unter Rückgriff auf operative Arbeitsweisen und Vorgangsbearbeitungen im Bundesamt für Verfassungsschutz beantwortet werden. Neben der insoweit bestehenden abstrakten Gefahr der Ausforschung von Arbeitsweise und Methodik nachrichtendienstlicher Tätigkeit stünden konkrete Geheimhaltungsinteressen des Bundes einer Auskunft entgegen. Es sei auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Beamten in den Blick zu nehmen. Sämtliche mit der Klage begehrten Auskünfte seien nur unter Rückgriff auf die Personalakte bzw. auf Teile einer Disziplinarakte zu beantworten. Gemäss § 106 Abs. 1 S. 2 BBG sei die Personalakte eines Beamten vertraulich zu behandeln. Auskünfte aus der Personalakte an einen Dritten seien gemäss § 111 BBG nur mit Einwilligung des Beamten möglich, es sei denn, dass der Schutz berechtigter höherrangiges Interessen des Dritten die Auskunftserteilung zwingend erfordere. Derartige Interessen seien hier nicht gegeben. Der Untersuchungsgegenstand sei bereits Inhalt der unterschiedlichsten Aufklärungsmassnahmen; bislang seien allein vier parlamentarische Untersuchungsausschüsse eingerichtet worden. Ein förmliches Disziplinarverfahren unterliege im Unterschied zum Strafverfahren gerade nicht dem Grundsatz der Öffentlichkeit, sondern sei bewusst als behördeninternes Verfahren ausgestaltet. Die Person die sich unter dem Decknamen „Lothar Lingen“ verberge, sei dessen Beschäftigungsdienststelle und auch darüber hinaus bekannt. Die Presse versuche bis heute mit unlauteren Methoden an den Beamten heranzutreten. Es bestehe eine hohe Gefahr, dass die Klaridentität bekannt werde. Ausserdem sei zu befürchten, dass die Auskunft zu einzelnen der vom Kläger gestellten Fragen zu dem Disziplinarverfahren weitere Fragen, auch anderer Pressevertreter, nach sich ziehe. Zumindest abstrakt bestehe darüber hinaus die Gefahr von Racheakten aus der rechtsextremistischen Szene gegen den Beamten.

[10] Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

[11] Die Klage hat teilweise Erfolg.

[12] Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auskunft zu den einzelnen im Tenor genannten Fragen.

[13] Der Anspruch ergibt sich unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Die Kammer folgt bezogen auf presserechtliche Auskunftsansprüche gegenüber Bundesbehörden der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach umfasst die ausschliessliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes über den Verfassungsschutz aus Art. 73 Nr. 10 b GG als Annex die Befugnis, Voraussetzungen und Grenzen zu regeln, unter denen der Öffentlichkeit einschliesslich der Presse Informationen zu erteilen sind oder erteilt werden dürfen. Da der zuständige Gesetzgeber untätig geblieben ist, muss unmittelbar auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG als Rechtsgrundlage für pressespezifische Auskunftspflichten zurückgegriffen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.03.2015 – 6 C 12.14 –, K & R 2015, 529; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 -6 A 2.12 -, NVwZ 2013, 1006.)

[14] Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht der Annahme eines aus   Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG folgenden verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob und auf welcher Grundlage Regelungen zu Auskunftspflichten der Presse gegenüber Bundesbehörden dem Bundesgesetzgeber vorbehalten sind, bislang offen gelassen. Ebenfalls hat es offen gelassen, ob ein Auskunftsanspruch unter Rückgriff auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden kann und wie weit dieser gegebenenfalls reicht. Denn für eine Verletzung der Pressefreiheit sei jedenfalls dann nichts ersichtlich, solange die Fachgerichte den Presseangehörigen im Ergebnis einen Auskunftsanspruch einräumen, der hinter dem Gehalt der – untereinander im wesentlichen inhaltsgleichen, auf eine Abwägung zielenden – Auskunftsansprüche der Landespressegesetze nicht zurückbleibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.07.2015 – 1 BvR 1452/13 -).

[15] Aufgrund des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs können Pressevertreter in geeigneter Form behördliche Auskünfte verlangen, soweit berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen nicht entgegenstehen.

[16] Die Berechtigung von Vertraulichkeitsinteressen, die dem verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch entgegenstehen können, bestimmt sich dabei in Abhängigkeit von dem Regelungsspielraum, über den der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung behördlicher Auskunftspflichten verfügt. Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch besteht in demjenigen Umfang, den der Gesetzgeber selbst nicht unterschreiten dürfte. Also ist er durch Vertraulichkeitsinteressen ausgeschlossen, die der Gesetzgeber für die gegebene Sachkonstellation als Ausschlussgrund normieren dürfte. Entscheidend ist, ob der Gesetzgeber berechtigt wäre, dem betroffenen Vertraulichkeitsinteresse für die gegebene Sachkonstellation Vorrang vor dem Informationsinteresse der Presse einzuräumen. Der Gesetzgeber unterliegt zum einen der Vorgabe, Vertraulichkeitsinteressen nur dann Vorrang gegenüber dem Informationsinteresse von Pressevertretern einzuräumen, wenn hierfür plausible Gründe sprechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.03.2015 – 6 C 12.14 –, a.a.O.).

[17] Berechtigte schutzwürdige Interessen der hier in Rede stehenden Art sind auch beispielhaft in den Landespressegesetzen aufgeführt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013, – 6 A 2.12 –, a.a.O.).

[18] Bei der Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Presse und den Vertraulichkeitsinteressen der Beklagten ist in den Blick zu nehmen, dass die Geheimhaltungsinteressen des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine hohe Bedeutung haben, weil Auskünfte immer auch Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Bundesamtes zulassen.

[19] Das Bundesverwaltungsgericht hat – bezogen auf den Bundesnachrichtendienst – bislang offen gelassen, ob der Gesetzgeber diesen insgesamt von der Pflicht ausnehmen dürfte, der Presse Auskunft zu erteilen. Der Gesetzgeber ist aber unter besonderen Umständen berechtigt, jedenfalls einzelne behördliche Funktionsbereiche von Auskunftspflichten auszunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.03.2015 – 6 C 12.14 -, a.a.O.).

[20] Derartige besondere Umstände bestehen für operative Vorgänge im Bereich des Bundesnachrichtendienstes, nämlich für die Beschaffung und Auswertung von Informationen von aussen- und sicherheitspolitischer Bedeutung. Der Gesetzgeber darf deshalb für diesen behördlichen Funktionsbereich Auskünfte an die Presse generell ausschliessen, ohne insoweit eine einzelfallbezogene Abwägung mit gegenläufigen Informationsinteressen der Presse vorsehen zu müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.07.2015 – 6 VR 1/15 -, DVBl 2015, 1316).

[21] Dasselbe gilt für operative Vorgänge im Bereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

I. 
[22] Hiervon ausgehend hat der Kläger einen Anspruch auf Auskunft zu der Frage 1, wie der Sachstand des Disziplinarverfahrens in Sachen des Beamten mit dem Decknamen Lothar Lingen ist und ob und mit welchen Konsequenzen das Disziplinarverfahren abgeschlossen ist.

[23] Schutzwürdige Interessen der Beklagten an der Vertraulichkeit der verlangten Informationen stehen nicht entgegen. Die begehrten Informationen fallen nicht in den behördlichen Funktionsbereich der operativen Vorgänge im Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Frage betrifft konkret das Disziplinarverfahren, das gegen den Beamten mit dem Decknamen Lothar Lingen im Bundesamt für Verfassungsschutz wegen des Vorwurfs, eine Aktenvernichtung am 11.11.2011 – drei Tage nach Beate Zschäpes Verhaftung -angeordnet sowie die Amtsleitung nicht informiert zu haben, eingeleitet wurde. Die vernichteten Akten betrafen Personen, die aus dem Umfeld des 1995 gegründeten „Thüringer Heimatschutzes (THS)“, ein bedeutendes Sammelbecken der Neonazi-Szene, für das Bundesamt geworben und als V-Männer geführt wurden. Die Mitglieder der Terrorgruppe NSU (Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe) waren besonders gewaltbereite Mitglieder des THS (vgl. Bericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 22.08.2013, BT-Drs. 17/14600, Seiten 743 ff., 786).

[24] Das Auskunftsverlangen betrifft den singulären Vorgang der Aktenvernichtung und das damit zusammenhängende Fehlverhalten des betroffenen Beamten. Die Frage des Klägers bezieht sich nicht auf den Inhalt der geschredderten Akten, d.h. Informationen zu den betreffenden V-Leuten werden nicht erfragt. Es ist nicht erkennbar, dass die konkrete Auskunft über den Sachstand des Disziplinarverfahrens – wie die Beklagte ohne nähere Begründung vorträgt – nur unter Rückgriff auf operative Arbeitsweisen und Vorgangsbearbeitungen im Bundesamt für Verfassungsschutz beantwortet werden können sollte. Dasselbe gilt für die eindeutige Frage nach den Konsequenzen des Disziplinarverfahrens, d.h. nach der ggfs. verhängten Disziplinarmassnahme (im Sinne des § 5 BDG).

[25] Auch schutzwürdige private Interessen des betroffenen Beamten stehen der Auskunftserteilung hier nicht entgegen.

[26] Zwar folgt aus § 111 BBG, wonach Auskünfte an Dritte aus der Personalakte, wozu auch die Disziplinarakte zählt, nur mit Einwilligung des Beamten erteilt werden dürfen, es sei denn, dass die Abwehr einer erheblichen Beeinträchtigung des Gemeinwohls oder der Schutz berechtigter, höherrangiger Interessen die Aufklärung zwingend erfordert, ein Vertraulichkeitsgebot für den Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung eines Beamten im Rahmen der Personalaktenführung. Grundsätzlich gilt für beamtenrechtliche Disziplinarverfahren, bei denen es um schuldhafte Dienstpflichtverletzungen des Beamten geht, das Vertraulichkeitsgebot im besonderen Masse. Die Verletzung des Vertraulichkeitsgebots setzt jedoch voraus, dass der Grundrechtsträger identifizierbar ist (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 21.07.2014 – 27 L169.14 -).

[27] Die Besonderheit im vorliegenden Fall ist, dass der betreffende Beamte deshalb nicht identifiziert werden kann, weil er der Öffentlichkeit nur unter seinem Decknamen Lothar Lingen bekannt ist. Seinen Vertraulichkeitsinteressen ist daher kein hohes Gewicht beizumessen. Warum aufgrund der begehrten abstrakten Informationen die Gefahr bestehen bzw. erhöht werden sollte, dass die Identität des Beamten bekannt wird, hat die Beklagte nicht näher erläutert. Personenbezogene Daten sind nicht Gegenstand des Auskunftsbegehrens. Die Beklagte trägt zwar vor, dass der betroffene Beamte der Presse bereits persönlich bekannt sei und Journalisten immer wieder versuchen würden, mit ihm in Kontakt zu treten; nur werde der Name nicht öffentlich genannt. Wenn dies jedoch aufgrund der der Öffentlichkeit bereits bekannten Umstände der Fall ist, ist nicht erkennbar, warum die Erteilung der begehrten Auskünfte dazu beitragen können sollte, die Identität des Beamten noch weiter bekannt zu machen.

[28] Dem gegenüber besteht hinsichtlich des Auskunftsbegehrens über den Sachstand und die Konsequenzen des Disziplinarverfahrens ein überragendes öffentliches Informationsinteresse. Als im Juni 2012 bekannt wurde, dass der Beamte mit dem Decknamen Lothar Lingen drei Tage nach der Verhaftung Zschäpes die Anweisung zur Vernichtung der Akten gegeben hatte, trat der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz zurück. Wegen der Anschläge des NSU wurden im Bundestag und in 6 Landtagen Untersuchungsausschüsse eingerichtet, wobei auch die Rolle der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der Anschläge untersucht wurde. So befasst sich der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Bundestages auch detailliert mit den Vorgängen der Aktenvernichtung (vgl. Bericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 22.08.2013, BT-Drs. 17/14600, Seiten 743 ff.).

[29] Zudem ist aktuell im November 2015 ein weiterer NSU-Untersuchungsausschuss zur Klärung noch offener Fragen im Bundestag eingesetzt worden. Untersucht werden soll unter anderem, ob die Sicherheits- und Ermittlungsbehörden bei der Selbstenttarnung des NSU am 04.11.2011 sachgerechte Massnahmen ergriffen und zielführend kooperiert haben. Auch die Vernichtung von Akten und die Löschung von Daten im Zusammenhang mit dem NSU wird untersucht werden (vgl. Pressemitteilung des Deutschen Bundestages vom 11.11.2015, abrufbar unter http://www.bundestag.de/presse/hib/2015-11/-/395432).

[30] Die Aufklärungsarbeit, die ein Untersuchungsausschuss zu einem Sachkomplex leistet, der Gegenstand eines presserechtlichen Informationsbegehrens ist, ist mit einer eigenständigen Recherche und Berichterstattung durch die Presse nicht identisch. Der Umstand der Befassung des Untersuchungsausschusses mit diesen Fragen führt dazu, dass dem Interesse der Öffentlichkeit an Informationen hierzu ein noch höheres Gewicht beizumessen ist. Denn im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass die Öffentlichkeit ein gesteigertes Interesse an Fragestellungen hat, die Gegenstand der Erörterung in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss werden. Auch hinsichtlich der Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses besteht ein Bedürfnis, diese durch eine unabhängige Presseberichterstattung zu begleiten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.03.2014 – 6 S 48.13 -, NVwZ 2014, 1177).

[31] Für das hohe öffentliche Informationsinteresse spricht in diesem Zusammenhang auch der seit dem 06.05.2013 laufende „NSU-Prozess“ gegen Beate Zschäpe und vier mutmassliche Helfer.

[32] Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung eingewendet hat, dass in die Abwägung einzustellen sei, dass das öffentliche Informationsinteresse durch die Fokussierung auf das Disziplinarverfahren eines einzelnen Beamten nicht ausreichend befriedigt werden könne, kann sie damit nicht gehört werden. Im Rahmen des grundrechtlich verbürgten presserechtlichen Auskunftsanspruchs kommt es auf die Qualität der begehrten Information nicht an. Vielfach wird sich ohnehin erst aufgrund der erteilten Auskunft erweisen, ob ein Berichterstattungsinteresse besteht. Es ist allein Sache der Presse aufgrund eigener publizistischer Beurteilung zu entscheiden, ob und wie über einen Sachverhalt berichtet wird (vgl. Löffler, Presserecht, 6. Aufl., § 4 Rn. 85).

[33] Sinn und Zweck der Auskunftspflichten ist es, der Presse zu ermöglichen, umfassend und wahrheitsgetreu Informationen über Geschehnisse von öffentlichem Interesse im staatlichen Bereich zu erhalten, und dadurch in die Lage versetzt zu werden, die Öffentlichkeit entsprechend zu unterrichten. Auf diese Weise können die Bürgerinnen und Bürger zutreffende und umfassende Informationen über tatsächliche Vorgänge und Verhältnisse, Missstände, Meinungen und Gefahren erhalten, die ihnen sonst verborgen bleiben würden, aber Bedeutung für eine abgewogene Beurteilung der für die Meinungsbildung essenziellen Fragen haben könnten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.07.2015 – 1 BvR 1452/13 -).

II. 
[34] Bezogen auf die Frage 3 hat die Klage ebenfalls Erfolg. Der Kläger hat aufgrund der vorstehenden Erwägungen einen Anspruch auf Auskunft zu der Frage, welches Fehlverhalten dem Mitarbeiter, gegen den im Zuge des Disziplinarverfahrens ermittelt wurde, genau vorgeworfen wurde.

[35] Hierbei handelt es sich um eine konkrete Frage nach dem Gegenstand des Disziplinarverfahrens. Schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen der Beklagten oder des betroffenen Beamten stehen aus den oben genannten Gründen nicht entgegen.

III. 
[36] Der Kläger hat ebenfalls einen Anspruch auf Erteilung einer Auskunft zu den unter 4 gestellten Fragen hinsichtlich des Umfangs und der Dauer der Aufklärungsbemühungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Disziplinarverfahren. Dabei versteht die Kammer die Frage so, dass die beiden ersten Fragen einleitend gestellt sind und in den beiden folgenden Fragen (Wie viele Personen wurden im Rahmen dieses Verfahrens befragt?, Wie viele Seiten umfasst die Ermittlungsakte im Disziplinarverfahren?) konkretisiert werden, so dass eine Auskunft nur zu den beiden konkreten Fragen begehrt wird.

[37] Die erbetenen Auskünfte betreffen konkrete Tatsachen hinsichtlich des Disziplinarverfahrens gegen den Beamten mit dem Decknamen Lothar Lingen. Schutzwürdige Vertraulichkeitsinteressen der Beklagten oder des Beamten stehen der Auskunftserteilung aufgrund der oben genannten Erwägungen nicht entgegen. Es besteht ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse.

IV. 
[38] Dasselbe gilt für die Frage 6, welche Einschätzungen über die mögliche Motivation der Aktenvernichtung durch den Mitarbeiter mit dem Decknamen Lothar Lingen während der im Rahmen des Disziplinarverfahrens durchgeführten Vernehmungen von anderen Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz geäussert wurden. Auch hierbei handelt es sich um eine klar umrissene Frage hinsichtlich eines einzelnen möglichen Aspekts der durchgeführten Vernehmungen in dem Disziplinarverfahren. Aufgrund der oben genannten Gründe ist die Auskunft zu erteilen.

V. 
[39] Hinsichtlich der Frage 8 hat die Klage aus den genannten Gründen ebenfalls Erfolg. Sie bezieht sich konkret auf das Ergebnis der Ermittlungen hinsichtlich der Frage, ob der Beamte die Aktenvernichtung selbständig ohne Rücksprache mit anderen Mitarbeitern angeordnet hat.

VI. 
[40] Der Kläger hat aus denselben Gründen auch einen Anspruch auf Auskunft zu der Frage 9, inwieweit im Disziplinarverfahren auch ausserhalb des Bundesamtes für Verfassungsschutz ermittelt wurde und ob aussenstehende Zeugen vernommen wurden.

VII. 
[41] Hinsichtlich der Frage 7 hat die Klage nur teilweise Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf Auskunft darüber, ob ermittelt wurde, ob der Mitarbeiter „Lothar Lingen“ mit den von ihm vernichteten Vorgängen in den Jahren zuvor selbst dienstlich befasst gewesen ist. Es handelt sich um eine konkrete Frage, die bejaht oder verneint werden kann. Diesbezüglich gelten die Erwägungen unter I entsprechend.

[42] Ein Anspruch des Klägers auf Auskunft zu der Frage, mit welchen vernichteten Vorgängen der Beamte dienstlich befasst gewesen ist und wie die Befassung aussah, besteht hingegen nicht. Die begehrte Auskunft bezieht sich auf den Inhalt der vernichteten Akten. Ausserdem begehrt der Kläger mit der Frage nach der Befassung eine Auskunft über die Arbeitsweise des betroffenen Beamten. Diese Fragen zielen auf den Bereich der operativen Vorgänge im Bundesamt für Verfassungsschutz, so dass eine Auskunft hierzu generell ausgeschlossen ist, ohne dass es einer Abwägung mit gegenläufigen Informationsinteressen der Presse bedarf.

VIII. 
[43] Mit der Frage 2, welche Informationen zum Ablauf der erfolgten Aktenvernichtungen sowie zur Motivation, die der Öffentlichkeit bisher nicht durch die Veröffentlichung des Abschlussberichtes des zweiten Untersuchungsausschusses des Bundestags bekannt seien, im Zuge des Disziplinarverfahren ermittelt worden seien, hat die Klage keinen Erfolg.

[44] Das Auskunftsbegehren ist nicht hinreichend eingrenzbar. Der Auskunftsanspruch muss sich auf einen bestimmten Sachverhalt beziehen und klar umrissen sein. Auf eine unüberschaubare Fülle von Tatsachen darf sich das Begehren nicht erstrecken (vgl. Urteil der Kammer vom 05.11.2015 – 6 K 4848/14 -).

[45] Der Kläger begehrt hiermit letztlich allgemein eine Abbildung der Disziplinarakte des betroffenen Beamten, soweit sich diese nicht mit dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses deckt. Die fehlende Eingrenzbarkeit der Frage zeigt sich auch daran, dass die vorliegende Frage Überschneidungen mit den folgenden – konkreten – Fragen aufweist. So ist beispielsweise die Motivation des Beamten auch Gegenstand der Frage 6. Nach dem Ablauf der Aktenvernichtungen ist auch (zum Teil) in Frage 8 gefragt.

[46] Im Übrigen kann wegen der mangelnden Eingrenzung des Begehrens auch nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, ob ggfs. Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass teilweise operative Vorgänge betroffen sind.

IX. 
[47] Ebenfalls keinen Erfolg hat die Klage hinsichtlich der Fragen unter 5. Das Auskunftsbegehren in der ersten Frage bezieht sich nicht auf einen konkreten Tatsachenkomplex. Ausgangspunkt ist zunächst die Behauptung, dass der Beamte von Vorgesetzten mit sehr guten Noten beurteilt wurde, andererseits aber gleichzeitig eine Anleitungs- und Kontrollbedürftigkeit durch Vorgesetzte bestand. Darauf folgt die Spekulation, dass die Vorgesetzten dieser „wohl“ nicht nachkamen. Mit der erbetenen Auskunft wird hier direkt eine Bewertung vorgenommen, die kein zulässiger Gegenstand des presserechtlichen Auskunftsanspruchs ist.

[48] Darüber hinaus hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Auskunft zu der Frage, wann genau der Mitarbeiter „Lothar Lingen“ wie von seinen Vorgesetzten bewertet worden war und wie die einstigen Positivbewertungen begründet worden waren.

[49] Zum einen kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Auskunftserteilung Geheimhaltungsinteressen der Beklagten entgegenstehen. Zum anderen besteht hier kein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Anders als bei den anderen Fragen bezieht sich die erbetene Auskunft nicht konkret auf das Disziplinarverfahren wegen der Aktenvernichtungen im Zusammenhang mit der Terrorgruppe NSU. Vielmehr ist hier der gesamte Werdegang des Beamten mit dem Decknamen Lothar Lingen betroffen. Die erbetenen Informationen zielen nicht auf einen einzelnen Vorgang, sondern auf umfangreiche Inhalte aus der Personalakte des Beamten. Insoweit stehen berechtigte Vertraulichkeitsinteressen der Auskunftserteilung entgegen.

[50] Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

[51] Die Berufung ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO i .V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO liegen nicht vor.

Quelle: http://www.justiz.nrw.de/RB/nrwe2/index.php (Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Justizkommunikation, 40212 Düsseldorf)

Leitsätze, Format, Randnummern und Rechtschreibung: http://www.debier.de (debier-datenbank, RA Torsten Mahncke, Berlin)