db-ergebnis: Nr. 1 von 1

db-nummer: olgkarlsruhe-0006U-2002-00189

Leitsätze (amtl)
1. Die Einstufung der in Deutschland vorgenommenen Abtreibungen als "Mord an unseren Kindern" und als "neuer Holocaust" wird vom Grundrecht der Meinungsfreiheit getragen, auch wenn sie in Bezug auf die Person und die ärztliche Tätigkeit eines namentlich genannten Frauenarztes erfolgt. Ein solcher Beitrag zur politischen Willensbildung in dieser die Öffentlichkeit besonders berührenden fundamentalen Streitfrage muss wegen der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit für den demokratischen Willensbildungsprozess selbst dann hingenommen werden, wenn die geäusserte Meinung extrem erscheint.
2. Die Qualifizierung der Abtreibungen als "rechtswidrig" in dem vom Kläger bekämpften Flugblatt knüpft erkennbar an der gegenwärtigen Rechtslage an, wie sie durch die spezielle Rechtskonstruktion des BVerfG geprägt ist, wonach Abbrüche nach Beratung ohne ärztliche Indikation "rechtswidrig, aber nicht strafbar" sind. Damit handelt es sich bei der angegriffenen Äusserung um eine (dem Beweis zugängliche) Tatsachenbehauptung und nicht um eine eigene strafrechtliche Bewertung der Tätigkeit des Klägers. Die Auslegung dieser Aussage dahin, der Kläger nähme gesetzwidrige, also vom Gesetz nicht zugelassene Schwangerschaftsabbrüche vor, lässt die gebotene Gesamtbetrachtung bei der Deutung der konkret beanstandeten Äusserung ausser Acht und stellt schon deshalb einen Verstoss gegen die Meinungsfreiheit dar.