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db-nummer: bverfg-02BvR-1962-00557

BVerfG, Beschluss vom 14.02.1968 - 2 BvR 557/62 -
Art. 3 Abs. 1 u. 3, 116 Abs. 2 GG
11. VO z. Reichsbürgergesetz v. 25.11.1941

(Nichtigkeit 11. VO z. ReichsbürgerG v. 25.11.1941 u. Folgen)

(Anm. der Redaktion: Der Entscheidungstext ist nicht lieferbar)

Leitsätze (amtl)

1. Nationalsozialistischen "Rechts"-Vorschriften kann die Geltung als Recht abgesprochen werden, wenn sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, dass der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde.
2. In der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. 11. 1941 (RGB1 I S. 772) hat der Widerspruch zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Mass erreicht, dass sie von Anfang an als nichtig erachtet werden muss.
3. Einmal gesetztes Unrecht, das offenbar gegen konstituierende Grundsätze des Rechts verstösst, wird nicht dadurch zu Recht, dass es angewendet und befolgt wird.
4. Zu den fundamentalen Rechtsprinzipien gehört das Willkürverbot, das heute in Art. 3 Abs. 1 GG und teilweise auch in Art. 3 Abs. 3 GG seinen positivrechtlichen Ausdruck gefunden hat.
5. Verfolgte, denen zwischen dem 30. 1. 1933 und dem 8. 5. 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, haben dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren, soweit sie nicht zu erkennen geben, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen wollen.
6. Auch wenn die Verfolgten eine fremde Staatsangehörigkeit erworben haben, können sie durch die Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland oder durch einen Antrag nach Art. 116 Abs. 2 Satz 1 GG die deutsche Staatsangehörigkeit wiedererlangen.
7. Für diejenigen, die eine fremde Staatsangehörigkeit nicht erworben haben, liegt die Bedeutung des Art. 116 Abs. 2 GG darin, dass der deutsche Staat sie - unbeschadet des Umstandes, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren haben - nicht als Deutsche betrachtet, solange sie nicht durch Wohnsitzbegründung oder Antragstellung sich auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit berufen.
8. Art. 116 Abs. 2 GG gilt nicht für die Verfolgten, die den 8. 5. 1945 nicht überlebt haben.
9. Diese Verfolgten können jedoch nicht anders behandelt werden als diejenigen, die das Inkrafttreten des Grundgesetzes erlebt haben. Auch bei ihnen ist daher in Betracht zu ziehen, dass sie möglicherweise ihre deutsche Staatsangehörigkeit aufgeben wollten.