Recht am eigenen Demo-Foto

Fotos von Personen, die an einer Versammlung teilnehmen, dürfen nicht ohne Weiteres ohne deren Einwilligung veröffentlicht werden.

OLG Dresden
Urteil vom 30.04.2019
4 U 1552/18

Thema
Persönlichkeitsrecht
Recht am eigenen Bild
Pressebildberichterstattung

§§
§§ 823, 1004 BGB
§§ 22, 23 KUG

Leitsätze (tm.)
1. Das Foto einer Person, die an einer Versammlung teilnimmt, ist kein Bild der Versammlung, sondern ein Bildnis der Person. Es darf nur mit deren Einwilligung veröffentlicht werden.
2. Willigt ein Versammlungsteilnehmer in die Presseveröffentlichung seines Personenbildnisses im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Versammlung ein, erstreckt sich diese Einwilligung nicht auf die Veröffentlichung des Fotos zum Zwecke der Berichterstattung über eine gegen ihn gerichtete polizeiliche Ermittlung.

Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts vom 6.9.2018 unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, die Behauptung unter dem Foto des Klägers, die abgebildete Person “versorgt das besorgte Völkchen regelmässig XXX, kassiert im Gegenzug Spenden für L…” in Onlinepublikationen zu veröffentlichen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger zu 62%, die Beklagte zu 38%, die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte zu 88%, der Kläger zu 12%.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, hinsichtlich des Antrags Ziff. 1 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4000,- €, hinsichtlich der Kosten in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss
Der Streitwert wird auf 12.000,- EUR festgesetzt.

Gründe
I.

[1] Der Kläger wendet sich – nachdem er erstinstanzlich die Beklagte auch wegen der Veröffentlichung in der gedruckten XXX-Zeitung in Anspruch genommen hatte – nur noch gegen die Veröffentlichung des als Anlage K 1 vorgelegten Artikels unter www.XXX.de. Dort war er unter dem von ihm selbst gewählten Pseudonym “T. S.” als “L…-Koch” bezeichnet worden, den “die Polizei” wegen “Morddrohungen” “jage”. In dem am 07.03.2016 eingestellten Artikel selbst wurde ausgeführt, der Kläger sei bei den L…-Demos “Stammgast” und versorge gegen Spenden für L… das “besorgte Völkchen” regelmässig XXX. Der Kläger selbst hat behauptet, lediglich 4-5 Mal, zuletzt am 20.04.2015 an einer L…-Demo teilgenommen zu haben. Das Landgericht hat nach umfangreicher Beweisaufnahme dem auf Unterlassung der Bildveröffentlichung gerichteten Antrag stattgegeben, den Unterlassungsantrag bezüglich der Wortberichterstattung indes zurückgewiesen. Hiergegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Der Kläger ist der Ansicht, das Landgericht habe die Beweislast unzutreffend verteilt und verkannt, dass die Beklagte aufgrund einer sie treffenden sekundären Darlegungslast ihre Rechercheergebnisse zu seiner Teilnahme an L…-Demonstrationen hätte aufdecken müssen. Dies verletze den Kläger in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, weil ihm wahrheitswidrig, “Meinungsäusserungen in Gestalt von Versammlungsteilnahmen” nachgesagt würden.
[2] Er beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, die Veröffentlichung in Onlinepublikationen zu unterlassen, in denen unter dem Foto des Klägers die Behauptung aufgestellt wird, die abgebildete Person sei “Stammgast bei den L…-Demos” und “versorge das besorgte Völkchen XXX, kassiert im Gegenzug Spenden bei L…”.
[3] Die Beklagte beantragt,
1. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
2. Das Urteil des Landgerichts wird insgesamt abgeändert und die Klage abgewiesen.
[4] Sie verteidigt das angefochtene Urteil, soweit es zu ihren Gunsten ergangen ist und vertritt im Übrigen die Auffassung, der Kläger müsse den Abdruck seines Fotos schon deshalb hinnehmen, weil er wegen seiner Funktion als L…-Koch und Spendensammler als relative Person der Zeitgeschichte anzusehen sei. Der Aussage der vom Landgericht vernommenen Zeugen lasse sich überdies entnehmen, dass der Kläger mit einer “Rundumberichterstattung” einverstanden gewesen sei, diese betreffe auch die in dem Artikel erhobenen Vorwürfe. Diese Einwilligung habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt widerrufen. Die Auslegung der das Bild begleitenden Wortberichterstattung dürfe überdies nicht isoliert vorgenommen werden, aus dem Zusammenhang mit dem Artikel ergebe sich, dass es allein um die polizeilichen Ermittlungen wegen einer Bedrohung nach § 241 StGB gegangen sei, die der Kläger in einem Facebook-Chat begangen habe. Die hieraus gezogene Schlussfolgerung, der Kläger habe gegenüber einem Dritten eine “Morddrohung” ausgesprochen, sei eine hinzunehmende Meinungsäusserung. Die Berufung des Klägers könne schon deswegen keinen Erfolg haben, weil er in dem auf Anzeige der Beklagten eingeleiteten Strafverfahren wegen falscher eidesstattlicher Versicherung selbst eingeräumt habe, “häufig” bei L…-Demonstrationen gewesen zu sein.
[5] Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Der Senat hat die Akte 224 Cs 615 JS 58535/17 AG Leipzig beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

II.
[6] Beide Berufungen sind als selbständige Berufungen fristgerecht eingelegt und begründet worden und auch im Übrigen zulässig. Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg, während die Berufung der Beklagten zurückzuweisen ist.
[7] Berufung der Beklagten:
[8] 1. Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass dem Kläger ein Anspruch auf Unterlassung aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 22, 23 KUG zusteht. Bildnisse dürfen hiernach grundsätzlich nur mit Einwilligung des Abgebildeten veröffentlicht werden.
[9] a. Eine solche Einwilligung hat das Landgericht hier bezogen auf den Gegenstand des begleitenden Artikels “Morddrohungen. Polizei jagt den L…-Koch” zu Recht verneint. Zwar ist nach der Aussage der erstinstanzlichen Zeugen W. und N. davon auszugehen, dass der Kläger der Anfertigung von Fotos zugestimmt und auch darin eingewilligt hat, dass diese in der Berichterstattung der Beklagten verwendet werden dürfen. Zumindest von einer konkludenten Einwilligung in die Weiterverwendung ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Abgebildete die Anfertigung der Aufnahme in Kenntnis des Zweckes der Aufnahme billigt (vgl. bereits BGH, Urteil vom 20.02.1968 – VI ZR 200/66; Wenzel/von Strobel-Albeg, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. Kap 7 Rn 163). Hierdurch ist jedoch zugleich die Reichweite der Einwilligung umrissen: von einer Einwilligung kann nur und soweit ausgegangen werden, als dem Betroffenen, Zweck, Art und Umfang der geplanten Veröffentlichung seines Bildnisses bekannt sind. Der Aussage des Zeugen N. ist insofern zu entnehmen, dass die geplante Veröffentlichung darauf abzielte, die gemeinsame L…-/P…-Demonstration zu bebildern und zu dokumentieren, welche Bevölkerungsgruppen mit welcher Motivation daran teilnehmen. Die Annahme der Beklagten, der Kläger habe angesichts dessen eine umfassende Einwilligung auch zur Veröffentlichung im Kontext der gegen ihn erhobenen Strafbarkeitsvorwürfe erteilt, liegt angesichts dessen fern. Nach allgemeiner Auffassung ist vielmehr von einer zeitlichen und inhaltlichen Beschränkung der Einwilligung auszugehen, auch wenn diese nicht ausdrücklich erklärt wird. Das Einverständnis mit der Benutzung einer Fotografie für eine aktuelle Berichterstattung deckt daher nicht ohne weiteres die Benutzung für künftige Zwecke, selbst wenn es – was hier nicht der Fall war – entgeltlich erteilt war. Die Verbreitung von Bildnissen im negativen Kontext braucht grundsätzlich nicht gesondert ausgeschlossen zu werden (Wenzel/von Strobl-Albeg, aaO. Rn 189 m.w.N.). Zur Feststellung des Umfangs der Einwilligung kann in sachlicher Hinsicht wegen desselben Schutzgedankens auf die urheberrechtliche Übertragungszweck-Regel zurückgegriffen werden (OLG Köln, Urteil vom 05.11.2013 – 15 U 44/13; KG, Urteil vom 28.08.1998 – 25 U 7198/97 – juris). Die Einräumung von über den ursprünglichen Veröffentlichungszweck hinausgehenden Rechten kann hiernach nur angenommen werden, wenn ein dahingehender Parteiwille unzweideutig zum Ausdruck gekommen ist. Dies ist hier auch nach den Aussagen der Zeugen W. und N. indes nicht der Fall gewesen. Selbst wenn man annimmt, dass der Zeuge N. dem Kläger mitgeteilt hat, dass sein Foto im Rahmen einer “Rundumberichterstattung” verwendet werden sollte, betrifft dies nur die “Rundumberichterstattung” über die aktuelle, evtl. auch noch weitere L…-Demonstrationen, nicht aber eine “Rundumberichterstattung” über den Kläger selbst. Nach dem objektiven Empfängerhorizont durfte der Zeuge das vom Kläger erklärte Einverständnis nicht dahingehend verstehen, dass dieses Bild auch bei einer Berichterstattung über ihn selbst über Gegenstände, die – wie die behaupteten “Morddrohungen” – nichts mit L… zu tun haben, verwendet werden darf.
[10] b. Zu Unrecht nimmt die Beklagte überdies an, dass es der Einwilligung nicht bedurft hätte, weil es sich mit Blick auf die Tätigkeit des Klägers als “Spendensammler” und “L…-Koch” bei diesem um eine relative Person der Zeitgeschichte gehandelt habe. Unabhängig davon, dass dieser Begriff im Anschluss an die Rechtsprechung des EGMR heute nicht mehr verwendet wird, stellt die streitgegenständliche Berichterstattung auch kein Ereignis der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG dar. Zutreffend ist allerdings, dass die an einem zeitgeschichtlichen Ereignis beteiligten Personen auch durch kontextneutrale Bildnisse als Begleitung zu einer Wortberichterstattung illustriert werden dürfen (BGH, Urteil vom 12.04.2010 – VI ZR 125/08 m.w.N.) und dass in diesem Zusammenhang auch die Befugnis anerkannt ist, eine aus anderem Anlass gefertigte Aufnahme zu verwenden. Zum Zeitgeschehen gehören auch Straftaten, deren Vermittlung Aufgabe der Presse ist (BVerfG vom 05.06.1973 – 1 BvR 536/72 Lebach – juris). Allerdings ist hierbei zu beachten, dass die Bedeutung des Straftäters für die Öffentlichkeit untrennbar mit seiner Straftat, nicht mit seiner Person verknüpft ist. Eine identifizierende Berichterstattung und die Veröffentlichung eines unverpixelten Fotos eines Angeklagten ist daher nach dem in § 23 KUG angelegten abgestuften Schutzkonzept schon bei der Berichterstattung nur dann zulässig, wenn für hierfür ein berechtigtes, in der Sache begründetes Interesse besteht (BGH NJW 2006, 599; Senat, Beschluss vom 27. November 2017 – 4 W 993/17 –, Rn. 4 – 6, juris). Erst recht gilt dies, wenn eine Person nicht angeklagt, sondern lediglich tatverdächtig ist. Die namentliche Herausstellung einer Person und deren Abbildung setzen in diesen Fällen voraus, dass unter Berücksichtigung des Anonymisierungsinteresses des Betroffenen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegt. Bei der Gewichtung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit ist der jeweilige Gegenstand bedeutsam. Bei Straftaten ist insbesondere die Schwere der Tatvorwürfe zu berücksichtigen, aber auch die öffentliche Aufmerksamkeit, die die Tat etwa auf Grund besonderer Umstände und Rahmenbedingungen gewonnen hat. Das Informationsinteresse wird regelmässig umso stärker sein und in der Abwägung an Gewicht gewinnen, je mehr die Straftat sich von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt, etwa auf Grund der Art der Begehung oder der Besonderheit des Angriffsobjekts.
[11] Nach diesen Massgaben war eine Bildberichterstattung über die in dem Artikel erwähnten Vorwürfe gegen den Kläger in keiner Hinsicht gerechtfertigt. Weder handelte es sich um eine bedeutsame Straftat noch hatte sie sich in der Öffentlichkeit ereignet oder war zuvor der Öffentlichkeit auch nur bekannt geworden. Ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren war gegen den Kläger nicht eingeleitet worden, die Berichterstattung beruhte vielmehr allein auf der mündlichen Mitteilung eines angeblich zuverlässigen Informanten über Ermittlungen der Polizei. In dem Artikel wird zudem selbst erwähnt, dass der fragliche F…-Post in weiten Teilen Anleihen an dem sog. H.-Lied nimmt, was Zweifel an der Ernsthaftigkeit eines Bedrohungsvorsatzes begründet. Von einem zeitgeschichtlichen Ereignis kann nach alledem keine Rede sein, es handelt sich – wenn überhaupt – um eine “Allerweltstat”, über die grundsätzlich keine Bildberichterstattung erlaubt ist (Wenzel-von Strobl-Albeg/Pfeifer, aaO. Kap. 8 Rn 43). Dass die Beklagte vor der Veröffentlichung ihr vermeintliches Informationsinteresse mit den persönlichkeitsrechtlichen Belangen des Klägers abgewogen hätte (vgl. Richtlinien 8.1 und 8.3 zum Pressekodex) ist nicht erkennbar. Zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis werden die von der Beklagten wiedergegebenen strafrechtlichen Vorwürfe auch nicht durch die Teilnahme des Klägers mit seiner Gulaschkanone an verschiedenen L…-Demonstrationen im Jahr 2015 und durch die in diesem Zusammenhang erfolgten Vorveröffentlichungen der Beklagten. Dass er hierdurch als Person so bekannt geworden wäre, dass eine von ihm auf einem sozialen Netzwerk verübte Straftat aus dem Kreis der alltäglichen Kriminalität herausgehoben würde, ist nicht anzunehmen. Ein zeitgeschichtliches Ereignis kann hier auch nicht wegen einer besonderen Vorbildfunktion angenommen werden, die ausnahmsweise eine Bildberichterstattung auch in Fällen kleinerer Kriminalität rechtfertigen kann; wer an einer Veranstaltung teilnimmt, bei denen es – wie auf den Demonstrationen von L… – regelmässig zu Straftaten kommt, disqualifiziert sich für eine solche Vorbildrolle selbst.
[12] c. In diesem Zusammenhang ist es rechtlich unerheblich, ob die das Bildnis des Klägers begleitende Artikelüberschrift “Morddrohungen. Polizei jagt den L…-Koch” von der Meinungs- und Pressefreiheit geschützt ist und ob sich der Kläger auch gegen diese isolierte Wortberichterstattung wenden könnte. Darum geht es im vorliegenden Verfahren nicht. Der Unterlassungstenor in dem angefochtenen Urteil betrifft vielmehr allein die Verwendung des Bildnisses im Kontext der begleitenden Wortberichterstattung. Diese Verbindung ist notwendig, weil bei der Bildberichterstattung nicht mit einer vorbeugenden Unterlassungsklage über die konkrete Verletzungsform hinaus eine ähnliche oder “kerngleiche” Bildberichterstattung untersagt werden kann, sofern die Verbreitung nicht schon per se unzulässig ist, weil sie etwa die Intimsphäre tangiert (BGH, Urteil vom 06.10.2009 – VI ZR 314/08 –juris).
[13] d. Unzutreffend ist schliesslich auch die Auffassung der Beklagten, die Bildberichterstattung über den Kläger sei nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG gerechtfertigt. Diese Vorschrift erlaubt die Veröffentlichung von Bildern einer Versammlung, an der die dargestellten Personen teilgenommen haben. Sie beruht darauf, dass es bei den in § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG aufgeführten Veranstaltungen aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist, vorab die Einwilligung der abgebildeten Personen einzuholen. Schon nach ihrem Wortlaut ist diese Vorschrift hier aber nicht einschlägig, weil die Beklagte kein Bild einer Versammlung, an der der Kläger teilgenommen hat, veröffentlich hat, sondern ein Bild des Klägers, das bei dieser Versammlung aufgenommen wurde. Die Zulässigkeit einer Veröffentlichung dieses Bildnisses richtet sich allein nach §§ 22, 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG und ist – wie ausgeführt – vorliegend zu verneinen.
[14] Berufung des Klägers
[15] 2. Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg.
[16] a. Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht ihm ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB gegenüber der in dem streitgegenständlichen Artikel enthaltenen Behauptung zu, er “versorge regelmässig das besorgte Völkchen XXX und kassiere im Gegenzug Spenden für L…”. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es sich hierbei um eine Tatsachenbehauptung handelt. Dies beanstandet auch die Berufungserwiderung der Beklagten nicht. Diese Behauptung erstreckt sich nicht allein auf einen zum Zeitpunkt der Berichterstattung bereits in der Vergangenheit liegenden Zeitraum; dem am 07.03.2016 erstmals online gestellten Artikel ist vielmehr durch die Verwendung der Zeitform des Präsens die Behauptung zu entnehmen, die beschriebene Tätigkeit des Klägers als “L…-Koch” und “Spendensammler” dauere bis in die Gegenwart hinein an und erfolge nicht lediglich sporadisch, sondern “regelmässig”. Von der Wahrheit dieser Behauptung kann indes auch im Anschluss an die Beweiserhebung des Landgerichts nicht ausgegangen werden. Sie ist – anders als das Landgericht angenommen hat – in erster Instanz nicht unbestritten gewesen. Der Kläger hat zwar eingeräumt, in der Zeit vom 21.01. bis 20.04.2015 an 4 oder 5 L…-Versammlungen mit seiner Gulaschkanone teilgenommen zu haben, eine Teilnahme über diesen Zeitraum hinaus jedoch bestritten. Dieses Bestreiten hat er auch nicht in der mündlichen Verhandlung vom 15.8.2018 vor dem Landgericht fallen gelassen, sondern dort vielmehr daran festgehalten, nach dem 20.04.2015 nicht mehr mit der Gulaschkanone vor Ort gewesen zu sein. Die Beklagte hat nicht dargelegt, welche anderweitigen Erkenntnisse sie hierzu besitzt. Bei ehrenrührigen Behauptungen trifft den Beklagten aber unabhängig von der Beweislast eine erweiterte Darlegungslast (BGH, Urteil vom 22.04.2008 – VI ZR 83/07 Rn 22 bei juris). Solange der Beklagte dieser Darlegungslast nicht genügt, kann von der Unwahrheit dieser Behauptung auch nicht ausgegangen werden. (Wenzel/Burkhardt, aaO., Kap 12 Rn 133). Diese Darlegungslast hat das Landgericht verkannt und auf dieser Grundlage angenommen, der Kläger sei für seine Behauptung beweisfällig geblieben, vielmehr ergebe sich aus den Aussagen der Zeugen R. und S., dass auch nach dem 20.04.2015 Sondernutzungserlaubnisse für XXX erteilt worden seien. Dies mag für die Aussage des Zeugen R. zutreffen, während der Zeuge S. ausgesagt hat, er meine dass nach einem Zeitpunkt X in der ersten Jahreshälfte 2015 XXX nicht mehr “zum Einsatz gekommen” sei. Für eine weitere Tätigkeit des Klägers lässt sich den Aussagen beider Zeugen ohnehin nichts entnehmen; dies gilt auch für die bestrittene Spendenwerbung über den 20.4.2015 hinaus. Darüber hinausgehende Anhaltspunkte, die für eine Teilnahme des Klägers an L…-Aufzügen über den 20.4.2015 hinaus sprächen, hat die Beklagte nicht vorgetragen.
[17] b. Ob unabhängig hiervon ist auch nach der über § 823 Abs. 2 BGB in das Zivilrecht transformierten Beweisregel des § 186 StGB von einer Beweislastumkehr zu Lasten der Beklagten auszugehen ist, kann dahinstehen. Die Behauptung, der Kläger trete regelmässig als “L…-Koch” auf, versorge die Teilnehmer der Demonstrationen XXX und werbe im Gegenzug Spenden ein, ist zwar grundsätzlich geeignet, eine üble Nachrede im Sinne des § 186 StGB darzustellen, weil hiermit eine organisatorische Eingliederung in die L…-Organisation über einen längeren Zeitraum zumindest bis zum Erscheinen des Artikels behauptet wird, was wiederum eine Identifizierung mit den Zielen dieser in weiten Teilen der Gesellschaft als rechtsextrem betrachteten Vereinigung voraussetzt, die über eine gelegentliche Teilnahme im Umfang von 4-5 Veranstaltungen deutlich hinausgeht. Dagegen spricht indes, dass der Kläger in seiner Anhörung vor dem Senat eingeräumt hat, er habe sich gerade nicht wegen der verfassungsfeindlichen Zielsetzung der Versammlung, sondern ausschliesslich deswegen von den L…-Aufzügen ferngehalten, weil er eine Bedrohung aus der “linken Szene” für sich und seine Familie befürchtete habe. Da die Beklagte indes bereits der sie treffenden Darlegungslast nicht genügt, braucht diese Frage nicht entschieden zu werden.
[18] c. Keinen Erfolg hat die Berufung des Klägers indes insofern, als der Beklagten auch die Veröffentlichung der Äusserung untersagt werden soll, der Kläger sei bei den L…-Demos “Stammgast”. Wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, handelt es sich hierbei um eine als Meinungsäusserung zu qualifizierende Bewertung, die mit der unstreitigen Teilnahme des Klägers an derartigen Veranstaltungen bis zum 20.04.2015 einen hinreichenden Tatsachenkern aufweist. Da der Begriff des “Stammgastes” in tatsächlicher Sicht unscharf und abhängig vom subjektiven Vorverständnis des Äussernden ist, reicht die Teilnahme des Klägers an 4 bis 5 Veranstaltungen für eine solche Bewertung aus. Dass in dem Artikel vom 07.03.2016 diese Aussage im Präsens mitgeteilt wird, steht dem nicht entgegen. Ob als “Stammgast” auch noch derjenige anzusehen ist, der in der Vergangenheit regelmässig eine Veranstaltung besucht hat, an ihr aktuell aber nicht mehr teilnimmt, unterliegt der Einschätzungsprärogative des Äussernden. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn der Kläger sich nach aussen sichtbar von seiner Unterstützung der L…-Bewegung losgesagt und deutlich gemacht hätte, an deren Veranstaltung zukünftig nicht mehr teilnehmen zu wollen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

III.
[19] Die Kostenentscheidung hat ihrer Grundlage in § 92 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt, dass die Klage in erster Instanz auch auf Unterlassung in der Printausgabe der XXX gerichtet war, für die die Beklagte nicht passivlegitimiert ist. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO; bei den auf Unterlassung gerichteten Anträgen handelt es sich insgesamt um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit (Senat, Urteil vom 13. Februar 2018 – 4 U 1234/17 –, Rn. 7, juris). Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

Instanzen
LG Leipzig, 06.09.2018 – 8 O 2211/16
OLG Dresden, 03.04.2019 – 4 U 1552/18
OLG Dresden, 30.04.2019 – 4 U 1552/18

Fundstellen
AfP 2019, 358
NJW-RR 2019, 1011

Quelle: https://www.justiz.sachsen.de (Der Freistaat Sachsen, Oberlandesgericht Dresden, Postfach 12 07 32, 01008 Dresden)

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