Hooligan

Wer sich im Stadion in wilder Pose fotografieren lässt und das Foto bei facebook postet, mindert sein Recht am eigenen Bild.

LG Frankfurt, Urteil vom 05.10.2017 – 2-03 O 352/16 – 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 EMRK
Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 GG
§ 823, 1004 BGB
§ 22, 23 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 KUG

Leitsätze (amtl / tm.)

1. Wer sich bei einer öffentlichen Veranstaltung in Pose fotografieren lässt und anschliessend das dabei geschaffene Bildnis selbst öffentlich auf Facebook postet, mindert selbstgewählt seinen Privatsphärenschutz, was in der gebotenen Abwägung Berücksichtigung finden kann. (amtl)
2. Die Bezeichnung als “Hooligan” stellt eine Meinungsäusserung dar. (amtl)
3. Zur Einwilligung in eine Bildnisveröffentlichung mittels der AGB der UEFA. (amtl)
4. Bei der Frage der Ermittlung des Umfangs der rechtsgeschäftlichen Einwilligung in eine Bildnisveröffentlichungen ist auf die Grundsätze der Zweckübertragungslehre gemäss § 31 Abs. 5 UrhG zurückzugreifen. Im Zweifel ist nur diejenigen Verwendung des Bildnisses von der Einwilligung umfasst sind, die der Einwilligungsempfänger zur Erfüllung des mit dem zugrundeliegenden Vertrag verfolgten Zwecks unbedingt benötigt. (tm.)
4. Zum Zusammenhang eines Bildnisses mit einem Ereignis der Zeitgeschichte. (amtl)

Tenor

Die Widerklage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte und Widerkläger zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

[1] Die Parteien streiten um Ansprüche wegen der Veröffentlichung eines Bildnisses.

[2] Die Klägerin und Widerbeklagte (im Folgenden: “Klägerin”) ist die Verlegerin der F Zeitung (F) und betreibt die Webseite www.f…. Der Beklagte und Widerkläger (im Folgenden: “Beklagter”) ist ungarischer Staatsbürger und lebt in Spanien.

[3] Am 25.06.2016 (online am 29.06.2016) veröffentlichte die Klägerin auf S. 12 der F in der Rubrik Feuilleton unter der Überschrift “Hooligans – Einblick in die Kampfzone hinter der Tür” den aus Anlage K1 (Anlage K1, Bl. 60 d.A.) ersichtlichen und als Gastbeitrag gekennzeichneten Beitrag. In diesem Beitrag heisst es u.a.:
“Die Fussball-Euromeisterschaft hat wieder einmal bewiesen, dass wir ein Hooligan-Problem haben … Gäbe es eine Tür zur Szene, sie wäre fensterlos, stabil, hätte an der Aussenseite keine Klinke … …”

[4] Der Beitrag ist mit einem Bildnis des Beklagten illustriert, der im Zentrum der Aufnahme steht und die Arme hochreisst. Auf seinem Bauch ist klar eine Tätowierung “hooligan” in alten Lettern zu erkennen. Das Bildnis ist mit der Bildunterschrift “Nicht beim Matchen, sondern als Zuschauer beim Spiel: ein ungarischer Hooligan während der EM in Frankreich” versehen.

[5] Das Bildnis wurde am 18.06.2016 anlässlich des Vorrundenspiels der UEFA Europameisterschaft 2016 zwischen Island und Ungarn im Stade Velodrome in Marseille aufgenommen, es gibt weitere Aufnahmen vom Beklagten zu diesem Anlass (Anlagenkonvolut K3, Bl. 65 d.A.), bei denen wie beim streitgegenständlichen Bild unter “Name des Autors” jeweils “dpa Picture-Alliance / P” vermerkt ist. P war für die Berichterstattung über das Spiel bei der UEFA als Agenturfotograf akkreditiert. Anlässlich dieses Spiels kam es zu Gewaltexzessen, auch aus dem Block heraus, in dem sich der Beklagte befand.

[6] Es kam in der Folge wiederholt zu Berichterstattung, bei der jeweils Bildnisse des Beklagten verwendet wurden.

[7] Der Beklagte postete auf seinem Facebook-Profil am 11.07.2015 ein Foto, das ihn mit drei anderen Männern vor einer Fahne mit der Aufschrift “YOMUS V.C.F.” zeigt (Anlage K10, Bl. 133 d.A.).

[8] Am 09.04.2016 postete der Beklagte ein Foto eines “Yomus-Fanblocks”, auf dem mehrere Abgebildete den “Hitlergruss” zeigen (Anlage K13, Bl. 137 d.A.). Am 09.06.2016 postete er ein Piktogramm, das Personen mit erhobenen Gegenständen, einen Polizisten und eine am Boden liegende Person unter der Unterschrift “UEFA OKOLOEURO 2016” zeigt und mit dem Kommentar “Hahaha” versehen ist (Anlage K15, Bl. 139 d.A.).

[9] Am 18.06.2016 postete er ein Foto mit dem Kommentar “Marseille”, auf dem er mit mehreren anderen Personen zu erkennen ist (Anlage K18, Bl. 142 d.A.). Ferner postete er auch das streitgegenständliche Bildnis mit der Beschriftung “Hooligan Camarero” (Anlage K19, Bl. 144 d.A.) bzw. mit einem Bericht (Bl. 145 d.A.) sowie weitere Bildnisse von sich, die dem streitgegenständlichen ähneln.

[10] Der Beklagte liess die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 12.09.2016 abmahnen (Anlage K7, Bl. 78 d.A.), forderte die Löschung des Fotos im Internetangebot und Zahlung von € 50.000,- und machte geltend, weitergehende Schadensersatzansprüche zu haben. Es kam zu weiterer Korrespondenz (Anlagenkonvolut K8, Bl. 82 d.A.).

[11] Die Klägerin behauptet, bei “YOMUS V.C.F.” handele es sich um eine rechtsextreme, antisemitische, spanisch-nationalistische Fangruppe des FC Valencia.

[12] Die Klägerin ist der Auffassung, dem Beklagten stehe ein Unterlassungsanspruch nicht zu. Der Beklagte habe durch den Kauf seines Tickets und die Anerkennung der dem zu Grunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Anlage K9, Bl. 86 d.A.), dort Ziffer 11.1, in die Veröffentlichung des streitgegenständlichen Bildnisses eingewilligt. Es handele sich ferner um ein Bildnis der Zeitgeschichte, da Gegenstand der Berichterstattung ein kritischer Bericht über die gewaltbereite Hooligan-Szene gewesen sei. Der Beklagte habe sich in selbst gewählter Pose aus der Masse der übrigen Zuschauer hervorgehoben und demonstrativ seinen Oberkörper mit dem “Hooligan”-Tattoo gezeigt. Der Beklagte habe seine Zugehörigkeit zur Hooligan-Szene demonstrativ zur Schau gestellt. Ein Anspruch auf Entschädigung scheide ebenfalls aus.

[13] Die Klägerin hat zunächst beantragt,
1. festzustellen, dass dem Beklagten kein Anspruch gegen die Klägerin zusteht, es zu unterlassen das nachfolgend abgebildete Foto … öffentlich zugänglich zu machen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen und/oder in anderer Form zu veröffentlichen und/oder in anderer Form veröffentlichen zu lassen;
2. festzustellen, dass der Beklagte keinen Anspruch gegen die Klägerin auf Zahlung von € 50.000,- wegen der öffentlichen Zugänglichmachung und/oder Veröffentlichung des unter Ziffer 1. abgebildeten Fotos hat;
3. festzustellen, dass dem Beklagten kein über den Zahlungsanspruch gemäss Ziffer 2. hinausgehender Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin wegen der öffentlichen Zugänglichmachung und/oder Veröffentlichung des Fotos gemäss Ziffer 1. zusteht.

[14] Widerklagend beantragt der Beklagte,
1. die Klägerin zu verurteilen, es bei Vermeidung von Ordnungsgeld bis zu € 50.000,-, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 3 Monate, zu unterlassen, das im Klageantrag zu 1. abgebildete Foto mit der Untertitelung: “Nicht beim Matchen, sondern als Zuschauer beim Spiel: ein ungarischer Hooligan während der EM in Frankreich.” ohne Zustimmung des Beklagten und Widerklägers öffentlich zugänglich zu machen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen und/oder in anderer Form zu veröffentlichen und/oder in anderer Form veröffentlichen zu lassen;
2. festzustellen, dass die Klägerin und Widerbeklagte verpflichtet ist, dem Beklagten und Widerkläger denjenigen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Verbreitung des in Ziffer 1. genannten Fotos mit der dort zitierten Untertitelung entstanden ist und/oder künftig entstehen wird;
3. die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten und Widerkläger zum Ausgleich des ihm durch die Verbreitung des in Ziffer 1 genannten Fotos mit der dortigen Untertitelung entstandenen immateriellen Schadens einen Betrag zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch € 25.000,-.

[15] Die Klägerin beantragt, die Widerklage abzuweisen.

[16] Die Parteien haben im Termin zur mündlichen Verhandlung die Klage übereinstimmend für erledigt erklärt.

[17] Der Beklagte bestreitet, dass er der einzige mit der dargestellten Körperhaltung oder nacktem Oberkörper im Stadion gewesen sei.

[18] Der Beklagte behauptet, er gehöre keiner Hooligangruppe an. Er habe wegen der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Fotos seine Arbeitsstelle in Madrid verloren und sei angefeindet worden. Er sei an Krawallen oder tätlichen Auseinandersetzungen weder direkt noch indirekt beteiligt gewesen.

[19] Der Beklagte ist der Auffassung, dass sich die durch die AGB der UEFA erteilte Einwilligung nicht auf die Verwendung seines Bildnisses im streitgegenständlichen Kontext erstrecke. Der streitgegenständliche Beitrag befasse sich nicht mit dem konkreten, zugrunde liegenden Ereignis. Es sei auch die zeitliche Grenze der Aktualität überschritten worden. Der Beitrag stelle die unwahre Tatsachenbehauptung auf, dass der Beklagte in Verbindung mit den Krawallen 2016 in Verbindung stehe. Aus den von ihm geposteten Bildern lasse sich nicht darauf schliessen, dass der Beklagte ein Hooligan oder gewalttätig sei.

[20] Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

[21] Die Widerklage ist zulässig, § 33 ZPO. Insbesondere liegt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse vor.

[22] Sie ist jedoch unbegründet.

[23] 1. Der Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Unterlassung der weiteren Verwendung des streitgegenständlichen Bildnisses (Widerklageantrag zu 1.), ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus den §§ 823, 1004 BGB, 22 f. KUG.

[24] Der Beklagte ist auf dem Bildnis erkennbar. Die Klägerin hat das Bildnis auch gemäss § 22 f. KUG verbreitet.

[25] Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen (BGH GRUR 2007, 527 – Winterurlaub m.w.N.). Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit ihrer Einwilligung verbreitet werden (§ 22 S. 1 KUG). Hiervon besteht allerdings gemäss § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme gilt aber wiederum nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten gemäss § 23 Abs. 2 KUG verletzt werden (BGH GRUR 2013, 1065 [BGH 28.05.2013 – VI ZR 125/12] Rn. 10 – Eisprinzessin Alexandra).

[26] a. Der Beklagte hat in die Verwendung seines Bildnisses im hier streitgegenständlichen Zusammenhang nicht entsprechend § 22 S. 1 KUG eingewilligt.

[27] Dabei kann im Ergebnis dahinstehen, ob die von der Klägerin in Bezug genommenen AGB, dort Ziffer 11.1, der UEFA wirksam in den Vertrag zwischen der UEFA und dem Beklagten einbezogen wurden (vgl. insoweit Ernst, AfP 2015, 401, 404) und ob diese Regelung zwischen der UEFA dem Beklagten auch für die Verwendung durch den – unstreitig – akkreditierten Fotografen greift. Denn die Einwilligung im Rahmen der AGB würde jedenfalls die hiesige Berichterstattung nicht umfassen. Der Umfang einer Einwilligung ist grundsätzlich durch Auslegung zu ermitteln und hängt wesentlich von der Art der Veröffentlichung ab, die unmittelbarer Anlass für die Erteilung der Einwilligung war (OLG München ZUM 2006, 936; Dreier/Schulze-Specht, UrhG, 5. Aufl. 2015, § 22 Rn. 21). Insoweit ist auch für Bildnisveröffentlichungen auf die Zweckübertragungslehre gemäss § 31 Abs. 5 UrhG zurückzugreifen, so dass im Zweifel nur diejenigen Verwendungen des Bildnisses von der Einwilligung umfasst sind, die der Einwilligungsempfänger zur Erfüllung des mit dem zugrundeliegenden Vertrag verfolgten Zwecks unbedingt benötigt (Dreier/Schulze-Specht, a.a.O.).

[28] Hier würde die Einwilligung des Beklagten gemäss Ziffer 11.1 der AGB der UEFA möglicherweise die Abbildung im Rahmen der Berichterstattung unmittelbar über das sportliche Ereignis im Rahmen decken, z.B. das Zeigen von Live-Bildern oder Bildern aus dem Stadion in Zusammenfassungen, wobei auch schon zweifelhaft ist, ob der Beklagte hierbei – wie geschehen – allein auf der Grundlage dieser Einwilligung aus der Menge herausgegriffen werden dürfte (vgl. OLG Frankfurt a.M. K&R 2016, 524; LG Frankfurt a.M., Urt. v. 21.04.2016 – 2-03 O 65/15, BeckRS 2016, 11760; Ernst, AfP 2015, 401, 404 m.w.N.). Der hier streitgegenständliche Beitrag, der sich mit Hooligans allgemein befasst, wäre hiervon nach den oben dargestellten Grundsätzen jedenfalls nicht mehr gedeckt.

[29] Ob im Übrigen durch die Pose des Beklagten eine konkludente Einwilligung erteilt worden sein könnte, konnte offen bleiben, da auch insoweit eine Einwilligung sich nicht auf die angegriffene Berichterstattung erstrecken dürfte.

[30] b. Die Veröffentlichung des streitgegenständlichen Bildnisses war aber gemäss § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zulässig.

[31] Schon die Beurteilung, ob Abbildungen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG sind, erfordert eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits. Der für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, massgebende Begriff des Zeitgeschehens umfasst alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Dazu können neben politischen und gesellschaftlichen Ereignissen auch Sportveranstaltungen gehören, und zwar auch dann, wenn sie nur regionale Bedeutung haben. Ein Informationsinteresse besteht allerdings nicht schrankenlos, vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismässigkeit begrenzt (BGH GRUR 2013, 1065 [BGH 28.05.2013 – VI ZR 125/12] Rn. 12 – Eisprinzessin Alexandra; BGH GRUR 2008, 1024 – Shopping mit Putzfrau auf Mallorca). Insoweit ist auch die Aktualität des Ereignisses zu berücksichtigen. Je länger das Ereignis zurückliegt, desto mehr tritt das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurück, der dann wieder “in der Menge verschwindet” (Wandtke/Bullinger-Fricke, UrhR, 4. Aufl. 2014, § 23 KUG Rn. 21; Löffler/Steffen, PresseR, 6. Aufl. 2015, § 6 Rn. 132). Dies kann z.B. bei einem Ereignis, das sechs Monate zurückliegt, fraglich sein (KG Berlin, Urt. v. 28.04.2008 – 10 U 183/07, BeckRS 2010, 13006).

[32] Weiter kann einzustellen sein, ob die Teilnahme an einer Veranstaltung im Sinne einer Selbstöffnung den Privatsphärenschutz des Betroffenen mindert (BeckOGK/Specht, 2017, § 823 BGB Rn. 264).

[33] Nach diesen Grundsätzen stellt sich die streitgegenständliche Verbreitung des Bildnisses des Beklagten in Abwägung der widerstreitenden Interessen als zulässig dar.

[34] Die streitgegenständliche Berichterstattung greift – wenige Tage nach den Gewaltexzessen im Zusammenhang auch mit dem Spiel, dem der Beklagte in Frankreich beiwohnte, und damit mit hinreichender Aktualität – das Phänomen der Hooligan-Szene auf. Dies ergibt sich bereits aus der Unterüberschrift, die ausdrücklichen Bezug auf die Hooligan-Problematik während der Europameisterschaft nimmt. Die Gewaltexzesse während der Europameisterschaft waren – wie der Kammer bekannt ist – auch Gegenstand umfangreicher Berichterstattung und von erheblichem öffentlichen Interesse (vgl. insoweit auch OLG Celle CR 2017, 551 [OLG Celle 01.06.2017 – 13 U 178/16] Rn. 21 – juris). Der Beitrag steht mit dieser Berichterstattung und den Vorfällen in einem dem Durchschnittsleser bekannten Gesamtkontext und weist daher zu diesen einen hinreichenden Bezug auf. Dies gilt auch mit Blick darauf, dass der als Gastbeitrag bezeichnete Artikel selbst keine Berichterstattung über das konkrete Ereignis darstellt, sondern auf schriftstellerische Weise Phänomene der Hooliganszene aufgreift und erläutert.

[35] Auch das konkrete Bildnis des Beklagten ist im Zusammenhang mit diesem Ereignis der Zeitgeschichte zu sehen. Dies gilt insbesondere, weil es – unstreitig – den Block im Stadion zeigt, in dem während des Spiels Gewalt auftrat und es daher die betroffenen Fans zeigt. Der Beklagte ist insoweit nur eines der Mitglieder des Fanblocks. Er tritt – wie es das Bild zeigt – aus dieser Masse jedoch deutlich heraus, indem er – möglicherweise auf etwas stehend – deutlich über der Masse positioniert ist und eine Aufmerksamkeit erzeugende Pose mit hochgereckten Armen, nacktem Oberkörper und zum Rufen geöffneten Mund eingenommen hat. Dabei präsentiert der Beklagte deutlich das auf seinem Bauch prominent angebrachte, in alten Lettern ausgestaltete Tattoo “hooligan”.

[36] Die Kammer hat bei der Abwägung insbesondere berücksichtigt, dass der Beklagte im öffentlichem Raum bewusst die beschriebene Pose eingenommen und nach dem Ereignis diese und ähnliche Bilder selbst auf seiner Facebook-Seite gepostet hat, auch im Zusammenhang mit einer Berichterstattung. Der Privatsphärenschutz ist bei ihm daher – teils selbstgewählt – gemindert.

[37] Auf der anderen Seite besteht ein erhebliches Informationsinteresse an den Gewaltexzessen, an denen Personen aus der Hooligan-Szene beteiligt waren, und an den Hintergründen der Hooligan-Szene, die der angegriffene Beitrag aufdeckt. Der Beklagte stellt im angegriffenen Beitrag eine Symbolfigur für dieses Informationsinteresse dar. Dies gilt im Besonderen, da der Beklagte – auch wenn er bestreitet, ein Hooligan zu sein oder zur Hooligan-Szene zu gehören – sich selbst in der Öffentlichkeit mit der eintätowierten Bezeichnung “hooligan” inmitten eines Fanblocks in martialischer Pose zeigt.

[38] Insoweit kam es im Ergebnis nicht darauf an, ob der Beklagte der Hooligan-Szene angehört, nahe steht oder mit ihr sympathisiert, wofür aber die von der Klägerin vorgetragenen Facebook-Posts Indizien darstellen könnten. Denn die oben dargestellten Gründe und die konkrete Situation – im Fanblock, in dem später Gewalt auftrat und in deutlicher Pose – verbunden mit dem erheblichen öffentlichen Informationsinteresse rechtfertigen die streitgegenständliche Berichterstattung unter Verwendung des Bildnisses des Beklagten.

[39] Die Kammer hat bei der Abwägung auch die Bildunterschrift “Nicht beim Matchen, sondern als Zuschauer beim Spiel: ein ungarischer Hooligan während der EM in Frankreich” berücksichtigt. Insoweit war die Bezeichnung des Beklagten als “Hooligan” nicht als unwahre und damit unzulässige Tatsachenbehauptung anzusehen, was auf die Abwägung nach den §§ 22, 23 KUG hätte durchschlagen können. Vielmehr ist die Bezeichnung “Hooligan” jedenfalls zu einem erheblichen Teil als eine Meinungsäusserung über die innere Einstellung des Beklagten anzusehen, die in der Pose des Beklagten, seiner Teilnahme am Spiel im Fanblock, dem Tattoo “hooligan” und den von der Klägerin vorgetragenen Facebook-Posts eine Anknüpfungsgrundlage hat und daher als zulässig und nicht schmähend anzusehen ist (zur Bezeichnung als “Hooligan” OLG Celle CR 2017, 551 [OLG Celle 01.06.2017 – 13 U 178/16] Rn. 35 – juris; vgl. insoweit zur Bezeichnung als “Rechtsextremist” LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 25.04.2016 – 2-03 O 132/16 m.w.N.; zur Bezeichnung als “(bekannter) Neonazi” OLG Stuttgart NJW-RR 2016, 932 [OLG Stuttgart 23.09.2015 – 4 U 101/15]).

[40] Auch der weitere Inhalt der Bildunterschrift führt nicht zur Unzulässigkeit der angegriffenen Bildberichterstattung. Der Durchschnittsleser entnimmt – entgegen der Auffassung des Beklagten – dieser bereits nicht, dass der Beklagte an den im streitgegenständlichen Beitrag erläuterten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen mehreren Hooligangruppierungen, dem “Matchen”, teilnimmt oder teilgenommen hat. Dies ergibt sich bereits daraus, dass formuliert wird, dass der Beklagte “nicht” beim “Matchen” ist. Es wird insoweit allenfalls offen gelassen, ob der Beklagte auch an solchen Auseinandersetzungen teilnehmen würde, zwingend drängt sich eine andere Schlussfolgerung dem Leser jedoch nicht auf.

[41] c. Angesichts der Zulässigkeit der angegriffenen Berichterstattung kann der Beklagte auch nicht die Feststellung eventueller Schadensersatzansprüche gegen die Klägerin verlangen (Widerklageantrag zu 2.), insbesondere nicht aus § 823 Abs. 1 BGB.

[42] d. Ebenso wenig kann der Beklagte den begehrten immateriellen Schadensersatz verlangen (Widerklageantrag zu 3.).

[43] 2. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 91a ZPO.

[44] Die Klage war durch die Erhebung und Verhandlung zur Widerklage vollständig erledigt. Insoweit war gemäss § 91a ZPO nur noch über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden, nachdem die Parteien die Klage im Termin zur mündlichen Verhandlung übereinstimmend für erledigt erklärt haben.

[45] Die Klage war insgesamt erledigt. Die Klageanträge zu 1. und 3. decken sich im Wesentlichen mit den Widerklageanträgen zu 1. und 2. Dies gilt auch im Hinblick auf die abweichende Formulierung der Widerklageanträge zu 1. und 2. gegenüber den Klageanträgen zu 1. und 3. Zwar beziehen sich die Widerklageanträge, anders als die Klageanträge auch – und damit ergänzend – auf den von der Klägerin und Widerbeklagten in ihrer Berichterstattung verwendeten Untertitel. Zu berücksichtigen ist aber, dass die negative Feststellungsklage die Folge der Abmahnung des Beklagten war, die auf die hier streitgegenständliche, konkrete Berichterstattung Bezug nahm. Damit beziehen sich Klage und Widerklage insoweit auf eben diesen konkreten Beitrag, unabhängig von der konkreten Formulierung und Einbeziehung des Untertitels. Im Übrigen hat auch der Beklagte mit seiner Widerklageschrift darauf hingewiesen, dass der Klage und Widerklage zu Grunde liegende Sachverhalt “im Wesentlichen” übereinstimme.

[46] Auch der Klageantrag zu 2. ist vollständig erledigt, da er mit dem Widerklageantrag zu 3. deckungsgleich ist. Zwar lautet der Klageantrag auf Feststellung, dass dem Beklagten ein Betrag von € 50.000,- nicht zustehe, während der Beklagte mit seinem Widerklageantrag zu 3. eine Entschädigung (nur) von mindestens € 25.000,- geltend macht. Da es sich um eine Mindestangabe handelt, bei der die tatsächliche Höhe der Entschädigung in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, und auch die vorgerichtliche Abmahnung durch den Beklagten in den Rechtsstreit eingeführt ist, würde die Stattgabe oder Abweisung des Widerklageantrages zu 3. gleichzeitig auch die Feststellung umfassen, dass z.B. ein über den tenorierten Betrag hinausgehender Betrag von der Klägerin nicht geschuldet ist.

[47] Die Entscheidung über die Kosten führte insoweit zu einer Auferlegung der Kosten auf den Beklagten, da er aller Voraussicht nach unterlegen wäre. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

[48] 3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.


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