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db-nummer: bverfg-02BvR-1982-00909

BVerfG, Beschluss vom 08.04.1987 - 2 BvR 909/82 - (u.a.)
Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14, 74 Nr. 12, 84 Abs. 1 GG
KünstlersozialversicherungsG

Leitsätze

1. a) Der Begriff "Sozialversicherung" in Art. 74 Nr. 12 GG ist als weitgefasster verfassungsrechtlicher Gattungsbegriff zu verstehen (BVerfGE 11, 105 (112) = NJW 1960, 1099). Neue Lebenssachverhalte können in das Gesamtsystem "Sozialversicherung" einbezogen werden, wenn die neuen Sozialleistungen in ihren wesentlichen Strukturelementen, insbesondere in der organisatorischen Durchführung und hinsichtlich der abzudeckenden Risiken dem Bild entsprechen, das durch die "klassische" Sozialversicherung geprägt ist.
b) Als Beteiligter darf ein nicht selbst Versicherter nur dann zur Finanzierung von Sozialleistungen herangezogen werden, wenn es dafür einen sachorientierten Anknüpfungspunkt in den Beziehungen zwischen Versicherten und Beitragspflichtigen gibt, der diese Heranziehung nicht ausserhalb der Vorstellungen liegend erscheinen lässt, von denen die Sozialversicherung in ihrem sachlichen Gehalt bestimmt wird.
c) Sozialversicherungsbeiträge sind keine Sonderabgaben im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. zuletzt BVerfGE 67, 256 (274 ff.) = NJW 1985, 37).
2.a) Ein Gesetz regelt das Verfahren der Landesbehörden i. S. von Art. 84 Abs. 1 GG, wenn es verbindlich die Art und Weise sowie die Formen ihrer Tätigkeit zur Ausübung seiner Bestimmungen vorschreibt. Das ist nicht der Fall, wenn eine Norm einen materiell-rechtlichen Anspruch gewährt und damit zwar ein Handeln der Behörde erzwingt, aber das Verfahren hierfür - auch indirekt - nicht mit festlegt.
b) Zur Einrichtung der Behörden i. S. von Art. 84 Abs. 1 GG gehört auch die Festlegung ihres näheren Aufgabenkreises. Dies ist qualitativ zu sehen; rein quantitative Vermehrungen bereits bestehender Aufgaben greifen nicht in den den Ländern vorbehaltenen Bereich ein.
3. Im Sachbereich der Sozialversicherung verlangt der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG einen - bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise - sachlich einleuchtenden Grund dafür, dass ein Privater im Unterschied zu anderen Privaten über seine Steuerpflicht hinaus als Beteiligter i. S. des Sozialversicherungsrechts zu einer Abgabe herangezogen wird, die weder ihm selbst noch seiner Gruppe zugute kommt, ihm vielmehr als fremdnützige Abgabe auferlegt wird, die sozialen Ausgleich und Umverteilung zum Ziel hat und herstellt.
4. Während jeder Bürger ohne weiteres der Steuergewalt unterworfen ist, bedürfen weitere, auf Ausgleich und Umverteilung angelegte Abgabenbelastungen im Hinblick auf die Belastungsgleichheit der Bürger einer besonderen Rechtfertigung. Eine solche Rechtfertigung fremdnütziger Sozialversicherungsbeiträge kann sich aus spezifischen Solidaritäts- und Verantwortlichkeitsbeziehungen zwischen Zahlungsverpflichteten und Versicherten ergeben, die in den Lebensverhältnissen, wie sie sich geschichtlich entwickelt haben und weiter entwickeln, angelegt sind. Solche Beziehungen, die von einer besonderen Verantwortlichkeit geprägt sind, können z. B. aus auf Dauer ausgerichteten integrierten Arbeitszusammenhängen oder aus einem kulturgeschichtlich gewachsenen besonderen Verhältnis gleichsam symbiotischer Art entstehen.