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db-nummer: bverfg-01BvR-1972-00536

BVerfG, Urteil vom 05.06.1973 - 1 BvR 536/72 - "Lebach I"
Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 2 GG
§§ 22, 23 KUG

Leitsätze (amtl)

1. Eine Rundfunk- oder Fernsehanstalt kann sich grundsätzlich für jede Sendung zunächst auf den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berufen. Die Rundfunkfreiheit deckt sowohl die Auswahl des dargebotenen Stoffs als auch die Entscheidung über die Art und Weise der Darstellung einschliesslich der gewählten Form der Sendung.
Erst wenn die Rundfunkfreiheit mit anderen Rechtsgütern in Konflikt gerät, kann es auf das mit der konkreten Sendung verfolgte Interesse, die Art und Weise der Gestaltung und die erzielte oder voraussehbare Wirkung ankommen.
2. Die Vorschriften der §§ 22, 23 KUG bieten ausreichenden Raum für eine Interessenabwägung, die der Ausstrahlungswirkung der Rundfunkfreiheit gemäss Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einerseits, des Persönlichkeitsschutzes gemäss Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG andererseits Rechnung trägt.
Hierbei kann keiner der beiden Verfassungswerte einen grundsätzlichen Vorrang beanspruchen. Im Einzelfall ist die Intensität des Eingriffs in den Persönlichkeitsbereich gegen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit abzuwägen. 3. Für die aktuelle Berichterstattung über schwere Straftaten verdient das Informationsinteresse der Öffentlichkeit im allgemeinen den Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz des Straftäters. Jedoch ist neben der Rücksicht auf der unantastbaren innersten Lebensbereich der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten; danach ist eine Namensnennung, Abbildung oder sonstige Identifikation des Täters nicht immer zulässig.
Der verfassungsrechtliche Schutz der Persönlichkeit lässt es jedoch nicht zu, dass das Fernsehen sich über die aktuelle Berichterstattung hinaus etwa in Form eines Dokumentarspiels zeitlich unbeschränkt mit der Person eines Straftäters und seiner Privatsphäre befasst.
Eine spätere Berichterstattung ist jedenfalls unzulässig, wenn sie geeignet ist, gegenüber der aktuellen Information eine erhebliche neue oder zusätzliche Beeinträchtigung des Täters zu bewirken, insbesondere seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft (Resozialisierung) zu gefährden. Eine Gefährdung der Resozialisierung ist regelmässig anzunehmen, wenn eine den Täter identifizierende Sendung über eine schwere Straftat nach seiner Entlassung oder in zeitlicher Nähe zu der bevorstehenden Entlassung ausgestrahlt wird.