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db-nummer: bverfg-01BvR-1951-00400

BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 - 1 BvR 400/51 - "Veit Harlan"
Art. 1 Abs. 3, 2, 5 Abs. 1 S. 1 GG
§ 826 BGB

Leitsätze (tm.)

1. Zur Frage, ob durch ein Urteil, das aufgrund der Auslegung einer zivilrechtlichen Generalklausel die Unterlassung einer öffentliche Äusserung anordnet, die Meinungsfreiheit des davon Betroffenen verletzt ist.
2. Das Grundgesetz ist eine objektive Wertordnung. In ihrem Mittelpunkt steht die sich in der sozialen Gemeinschaft frei entfaltende Persönlichkeit und die menschliche Würde. Sie gilt für alle Bereiche des Rechts. Keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu ihr stehen, jede muss in ihrem Geiste ausgelegt werden.
3. Zwischen Grundrecht und "allgemeinem Gesetz" findet eine Wechselwirkung statt: Die "allgemeinen Gesetze" setzen dem Grundrecht Schranken, müssen ihrerseits aber aus der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden.
4. Der Richter hat zu prüfen, ob die von ihm anzuwendenden materiellen ziviIrechtlichen Vorschriften grundrechtlich beeinflusst sind; trifft dies zu, hat er bei Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften die sich hieraus ergebende Modifikation des Privatrechts zu beachten. Beruht sein Urteil auf der Ausserachtlassung dieses verfassungsrechtlichen Einflusses, verstösst er gegen objektives Verfassungsrecht und verletzt als Träger öffentlicher Gewalt das Grundrecht. Gegen ein solches Urteil kann das BVerfG im Wege der Verfassungsbeschwerde angerufen werden.
5. Das Grundrecht auf freie Meinungsäusserung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt und für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist.
6. Werturteile sind vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt.
7. Das Recht zur Meinungsäusserung muss zurücktreten, wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden. Ob solche überwiegenden Interessen anderer vorliegen, ist auf Grund aller Umstände des Falles zu ermitteln.