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db-nummer: bverfg-01BvF-1984-00001

BVerfG, Urteil vom 04.11.1986 - 1 BvF 1/84 - "4. Rundfunkurteil"
Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 2 GG
NdsLRundfG (Niedersächsisches Landesrundfunkgesetz)

Leitsätze (amtl)

1. a) In der dualen Ordnung des Rundfunks, wie sie sich gegenwärtig in der Mehrzahl der deutschen Länder auf der Grundlage der neuen Mediengesetze herausbildet, ist die unerlässliche "Grundversorgung" Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten, deren terrestriche Programme nahezu die gesamte Bevölkerung erreichen und die zu einem inhaltlich umfassenden Programmangebot in der Lage sind. Die damit gestellte Aufgabe umfasst die essentiellen Funktionen des Rundfunks für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik. Darin finden der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine besondere Eigenart ihre Rechtfertigung. Die Aufgaben, welche ihm insoweit gestellt sind, machen es notwendig, die technischen, organisatorischen, personellen und finanziellen Vorbedingungen ihrer Erfüllung sicherzustellen.
b) Solange und soweit die Wahrnehmung der genannten Aufgaben durch den öffentlichrechtlichen Rundfunk wirksam gesichert ist, erscheint es gerechtfertigt, an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen zu stellen wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Vorkehrungen, welche der Gesetzgeber zu treffen hat, müssen aber bestimmt und geeignet sein, ein möglichst hohes Mass gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk zu erreichen und zu sichern. Für die Kontrolle durch die zur Sicherung der Vielfalt geschaffenen (externen) Gremien und die Gerichte massgebend ist ein Grundstandard, der die wesentlichen Voraussetzungen von Meinungsvielfalt umfasst: die Möglichkeit für alle Meinungsrichtungen - auch diejenige von Minderheiten -, im privaten Rundfunk zum Ausdruck zu gelangen, und den Ausschluss einseitigen, in hohem Masse ungleichgewichtigen Einflusses einzelner Veranstalter oder Programme auf die Bildung der öffentlichen Meinung, namentlich die Verhinderung des Entstehens vorherrschender Meinungsmacht. Aufgabe des Gesetzgebers ist es, die strikte Durchsetzung dieses Grundstandards durch materielle, organisatorische und Verfahrensregelungen sicherzustellen.
2. Grundsätzlich genügt diesen und den übrigen Anforderungen der Rundfunkfreiheit eine Konzeption der Ordnung privaten, durch Werbeeinnahmen finanzierten Rundfunks, welche neben allgemeinen Mindestanforderungen die Voraussetzungen der gebotenen Sicherung von Vielfalt und Ausgewogenheit der Programme klar bestimmt, die Sorge für deren Einhaltung sowie alle für den Inhalt der Programme bedeutsamen Entscheidungen einem externen, vom Staat unabhängigen, unter dem Einfluss der massgeblichen gesellschaftlichen Kräfte und Richtungen stehenden Organ überträgt und wirksame gesetzliche Vorkehrungen gegen eine Konzentration von Meinungsmacht trifft.
3. Das Niedersächsische Landesrundfunkgesetz vom 23. 5. 1984 ist in seinen Grundlinien mit dem Grundgesetz vereinbar. Doch vermag eine Reihe seiner Vorschriften die Freiheit des Rundfunks nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise zu gewährleisten; diese Vorschriften sind mit dem Grundgesetz ganz oder zum Teil unvereinbar. Darüber hinaus bedarf es zur Sicherung der Rundfunkfreiheit ergänzender gesetzlicher Regelungen.